Grappa 11 - Grappa und das große Rennen
Manuelas Adressbuch? Sie konnte sich bestimmt keinen Psychologen leisten, denn die waren nicht gerade preiswert.
Ich näherte mich dem Eingang und drückte wild entschlossen auf den Klingelknopf. Keine Reaktion.
Es gab allerdings noch eine zweite Klingel. Lika war nicht alleiniger Bewohner des Hauses. Ich betätigte die Schelle.
»Wer ist da?«, fragte eine Männerstimme durch die Sprechanlage.
»Ich will zu Dr. Lika«, sagte ich. »Ist er nicht da?«
»Wenn er sich nicht meldet, wird er wohl nicht da sein«, blaffte der Mann. »Sonst noch was?«
»Wann kommt er denn wieder?«
»Bin ich die Auskunft?«, bekam ich zu hören. Dann wurde eingehängt.
Nette Gegend, dachte ich, hilfsbereite Menschen. Ich nahm mir vor, in regelmäßigen Abständen bei Dr. Lika anzurufen, irgendwann würde ich ihn erreichen.
Ich fuhr noch mal in die Redaktion zurück, kopierte die Seite von Manuelas Adressbuch, auf der Likas Anschlüsse verzeichnet waren.
Als es schon dunkel war, machte ich einen Umweg bei Manuelas Wohnung vorbei und warf das Adressbuch in ihren Briefkasten. Zwischen zwei Seiten hatte ich einen Fünfzig-Mark-Schein gelegt.
In den nächsten Tagen gelang es mir, etwas über den Psychologen herauszubekommen. Dr. Arnim Lika war nicht irgendein Vorortdoktor, sondern eine richtige Kapazität. Er arbeitete nur mit Privatpatienten, weil er keine Kassenzulassung hatte.
Ich startete im Internet eine Recherche und wurde fündig. Lika hatte Bücher geschrieben. Er beschäftigte sich populärwissenschaftlich mit Formen sexueller Gewalt, unter anderem mit Sadomasochismus und seinen verschiedensten Ausdrucksformen. Er hatte ein Buch mit Protokollen seiner Patienten veröffentlicht und sich auch als Betreuer vergewaltigter Frauen einen Namen gemacht. Eine echte Lichtgestalt also, die es nicht mehr nötig hatte, sich auf Sitzungen mit ihren Patienten herumzuquälen. Seine Bücher hatten hohe Auflagen, er war häufig Gast in Schmuddel-Talkshows – als Experte für alles, was mit Perversionen und sexuellen Verirrungen zu tun hatte.
Nein, es geht nicht nur um Politik, dachte ich. Die Ledermasken, das Streichholzbriefchen vom Club Chez Justine und jetzt dieser Therapeut – es schien zwischen allem eine Verbindung zu geben.
Es dauerte eine Weile, bis ich die Oberstaatsanwältin erreichte. Ich wollte antesten, ob sie auch schon auf den Trichter gekommen war. »Sie scheinen mit der Sache nicht weiterzukommen, Frau Dr. Cosel«, begann ich das Gespräch. »Oder gibt es etwa Fortschritte?«
Ich merkte, dass sie am anderen Ende der Telefonleitung in die Muschel schnaubte. »Stellen Sie Ihre Fragen!«
»In welche Richtung ermitteln Sie?«
»Wir gehen inzwischen davon aus, dass es keine politischen Motive gibt.«
»Also ein privater Racheakt?«
»Ich ermittle zurzeit in den Kreisen, in denen Junghans privat verkehrt hat.«
»Das hört sich nach sexuellen Hintergründen an.«
»Könnte sein«, meinte die Oberstaatsanwältin. »War's das, Frau Grappa?«
»Wissen Sie, woher die Maske stammt?«
»Aus einem der üblichen Läden. Das Ding ist sozusagen ein Einsteigermodell für die Männer, die sich in der Szene Herr oder Lord nennen. Um ihre Sklavinnen und Sklaven damit zu erschrecken und natürlich um anonym zu bleiben.«
»Gibt es eine heiße Spur?«
»Das kann ich aus ermittlungstechnischen Gründen nicht sagen.«
Mehr war aus Dr. Cora Cosel nicht herauszubekommen, doch für eine kleine Story reichte es allemal.
Ich setzte mich an meinen PC und schrieb:
Der Mord an dem ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden und OB-Kandidaten Willi Junghans hat vermutlich keine politischen Hintergründe. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Täter aus dem privaten Umfeld des Politikers stammt. Oberstaatsanwältin Dr. Cora Cosel bestätigte gegenüber unserer Zeitung, dass zurzeit im Sadomaso-Milieu ermittelt wird. Die Ledermaske, die über den Kopf der Leiche gezogen war, hatte einen Hinweis auf merkwürdige sexuelle Vorlieben des toten Politikers gegeben. Nach Angaben der Oberstaatsanwältin werden solche Masken in Sexshops verkauft.
Die Sadomaso-Szene in Bierstadt und Umgebung ist aufgeschreckt. Treibt sich in den Kreisen, in denen sonst nur Herren, Lords, Sklaven und Sklavinnen miteinander verkehren, jetzt auch ein Mörder herum?
Tot und nackt
»Big Mäc hat angerufen«, teilte mir ein atemloser Peter Jansen am nächsten Morgen mit. »Er hat den Polizeifunk abgehört. Manthey scheint es erwischt zu haben.«
»Tot?«
»Sieht so
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