Grappa 11 - Grappa und das große Rennen
ähnlicher Hinsicht auffällig geworden. Es ist aber auch möglich, dass der oder die Täter den politischen Hintergrund der Tat verschleiern wollten. Sie sehen also, dass in verschiedene Richtungen ermittelt werden muss.«
»Gab es sonst noch Ungewöhnliches? Verletzungen? Bekennerschreiben?«, fragte ich.
Cora Cosel warf dem Leitenden Oberstaatsanwalt einen Blick zu. Er nickte.
»An der Leiche war ein Zettel befestigt«, sagte die Oberstaatsanwältin.
»Da prangte bestimmt ein Sumpfhuhn drauf«, flüsterte ich Tom zu.
Er grinste sich eins.
»Können wir das Papier sehen?«, fragte er dann.
»Aber selbstverständlich!« Dr. Cora Cosel öffnete eine Mappe und hob ein Stück Papier hoch: »Auf dem Zettel steht folgender Satz: Der Mensch scheint also von Natur aus böse zu sein, er ist es im Delirium seiner Leidenschaften ebenso wie in seiner Kaltblütigkeit . Es handelt sich um ein Zitat aus einem Werk des Marquis de Sade. Und da ist noch etwas: Das Schreiben trägt auch eine Unterschrift: ›Erneuerer in der SPD‹.«
»Und? Was sind das für Leute?« Der Fragesteller war der Lokalchef der Bierstädter Rundschau , ein abgewrackter Typ mit Zuckerwattehaaren, der auf Pressekonferenzen meist nicht sehr viel mitbekam, weil es das Quantum Alkohol in seinem Blut nicht zuließ. Er war die Karikatur eines Schreiberlings: dreist, aufgeblasen, verbraucht und in einen permanenten Kampf mit der deutschen Grammatik verstrickt, den er meistens verlor.
»Die Gruppe hat sich bei mir noch nicht vorgestellt«, antwortete Dr. Cora Cosel mit mildem Lächeln.
»Könnte der Mord an Junghans der Beginn einer Mordserie sein?«, fragte TOP. »Wenn es die ›Erneuerer in der SPD‹ wirklich geben sollte, dann dürfte das ja wohl nur der Anfang gewesen sein – bei dem derzeitigen Zustand der Partei.«
»Die Frage wollte ich auch gerade stellen«, beeilte sich Zuckerwatte zu beteuern.
»Ich bin Staatsanwältin und ich halte mich an Fakten. Vermutungen sind mir verhasst. Und jetzt entschuldigen Sie mich. Ich habe viel zu tun!«
Nachhilfe
Junghans' unkonventionelles Ende lockte die internationale Medienszene nach Bierstadt.
Wenigstens die Hotels dürften ihren Schnitt machen, dachte ich, als ich Übertragungs- und Reportagewagen durch die Stadt fahren sah.
Junghans war von seiner Partei ja schon längst vom Kandidatenstuhl der Oberbürgermeisterwahl gestürzt worden, vor einer Woche war er dann endlich auch als Fraktionschef zurückgetreten. Nicht allein wegen der Rotlichtaffäre, der Gemeuchelte hatte noch mehr auf dem Kerbholz gehabt. Zehn Jahre lang hatte er keine Steuererklärung abgegeben, sich vom Finanzamt schätzen lassen, das natürlich nicht wusste, dass Junghans Bezüge aus zahlreichen Vorstands- und Aufsichtsratsposten erhielt, in die ihn seine Partei gehievt hatte. Erst als er mit Manuela in die Schlagzeilen geraten war, fiel dem Finanzamt die Sache auf. Junghans hatte seine Nebeneinkünfte nachversteuern und ein Bußgeld zahlen müssen.
Was mich an Junghans fasziniert hatte – außer seinem Abgang –, war der völlige Mangel an Unrechtsbewusstsein gewesen. Selbst als die Steuersache bekannt geworden war, hatte er nicht an einen Rücktritt gedacht, sondern musste durch seine Partei erst gezwungen werden.
Wieder in der Redaktion angelangt, berichtete ich Peter Jansen von der Pressekonferenz.
»Die Maske und das Sade-Zitat müssen etwas bedeuten – aber was?«, grübelte er. »Junghans war zwar bekannt dafür, dass er auf Schmuddelsex stand, aber Sadomaso? Glaub ich nicht.«
»Was heißt schon glauben?«, warf ich ein. »So etwas hängt niemand an die große Glocke. Noch nicht mal Junghans. Außerdem – ob er SM-Spielchen betrieben hat, finde ich nicht so interessant wie die Frage, ob es diese ›Erneuerer in der SPD‹ wirklich gibt.«
»Vielleicht haben sich die Jusos umbenannt?«, witzelte Jansen.
Ich lachte herzlich. »Junghans war ein mieser Typ. Und dämlich dazu, was die Sache verschlimmert. Seiner Partei hat er auf jeden Fall Schaden zugefügt. Welcher Politiker lädt sich schon eine drogensüchtige Nutte ins Auto? Die SPD setzt sich für die Rehabilitation Drogensüchtiger ein und unterstützt Projekte, die Prostituierte wieder eingliedern sollen, und ein herausragender Repräsentant dieser Partei benimmt sich dermaßen daneben. Es gibt also viele Gründe anzunehmen, dass es die Erneuerer wirklich gibt. Und wenn sie nur ein Phantom sein sollten, dann müssten sie erfunden werden.«
»Du kriegst ja
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