Grappa dreht durch
auf den Tisch zurück. Sein freundliches Gesicht verspannte sich. »Bist du sicher?«
»Ja. Er will das Mädchen nicht zurückgeben. Er verlangt einen Film dafür.« »Welchen Film?«
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»Keine Ahnung. Ich kenne die Zusammenhänge nicht. Macht Brokkoli noch andere Geschäfte?«
»Ich weiß auch nicht. Werde fragen. Wie willst du Mädchen zurückbekommen?«
»Bluff. Ich habe gesagt, daß ich den Film habe. Ich muß nur sicher sein, daß er das Mädchen freiläßt.«
»Warum gehst du nicht zur Polizei?«
»Er sagt, daß er sie tötet. Mit einer Spritze!«
Luigi pfiff durch die Zähne. »Brauchst du Hilfe?« fragte er dann.
»Hilfe der Mafia? Nein, das doch lieber nicht!« »Nicht Mafia. Meine Hilfe!« »Ich dachte, das sei dasselbe!«
Luigi lächelte nur. Ich überlegte. Warum eigentlich nicht?
»Gut. Ich nehme deine Hilfe an. Aber kein Blutvergießen! Wie machen wir‘s?«
»Erzähl mir, wie die Übergabe dieses Films passieren soll.« Ich tat es. Luigi hatte nach kurzem Nachdenken einen Plan parat. Wir öffneten die zweite Flasche Wein, ließen frisches Knoblauchbrot kommen, sangen das Loblied von schönen Männern, Frauen, warmer Sonne, schönen Landschaften, guten Weinen und schwärmten von Bella Italia.
Ein spätes Taxi brachte mich zurück in meine Wohnung. Ich kramte in meiner CD-Sammlung. Ich wußte, daß sie irgendwo herumlag. Da war sie! Ich schob die Disk in den Player.
Kurz darauf erfüllte der zweite Satz des 5. Klavierkonzertes von Beethoven den Raum.
John Masul hatte recht. Die Klänge waren an Innigkeit nicht zu übertreffen.
Ich stöpselte das Telefon aus, beschäftigte mich mit den beiden Katzen und fiel ins Bett. Die Sehnsucht nach Entspannung, frischer Luft in warmer Sonne, Baden im Meer und nach einem appetitlichen Herrn mit vielen Begabungen geisterte durch meine wirren Träume. Und im Hintergrund spielte ein dominantes Piano mit frechen Streichern und aufmüpfigen Holzbläsern Fangen.
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Der tiefere Sinn von Rudi Mühlens Migräne
Die nächsten Tage stellten unsere Geduld auf eine harte Probe, denn wir warteten vergeblich auf eine Nachricht von den Entführern. Rita lief mit rotgeweinten Augen herum, Berthas Nerven lagen bloß, und ich machte mir Vorwürfe, weil ich die Polizei nicht informiert hatte. Die Zeit rannte uns davon.
Nur Luigi blieb gelassen. Er behauptete, dem Mädchen sei noch nichts geschehen. Woher er diese Informationen hatte, war nicht aus ihm herauszukriegen.
»Laß uns die Sache endlich durchziehen«, schlug ich Luigi vor, als ich ihn von zu Hause aus anrief. »Die Mutter des Mädchens bricht zusammen, wenn nicht bald etwas passiert. Die Kleine ist seit einer Woche weg.«
Luigi murmelte etwas von Vorbereitungen, die kurz vor dem Abschluß stünden. Dann endlich der ersehnte Anruf: Die Operation sollte am nächsten Tag im Morgengrauen starten.
»Hast du rausgekriegt, wo sie Carola gefangen halten?« wollte ich wissen.
»Claro. Und ich weiß, daß Brokkolis Leute wissen, daß ihr den Film nicht habt. Deshalb haben sie sich nicht mehr gemeldet.«
»Wie das? Das wußten nur Rita, Bertha, du und ich!«
»Liebe Grappa! Ich dachte, du guckst jeden Film criminale im Fernsehen an. Denk mal an ein kleines Tier mit Namen >Wanze<.«
Plötzlich sah ich die hypochondrischen Gesichtszüge von Rudi Mühlen vor mir. Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück und ließ meine Erinnerung wie eine Kamera über Vergangenes gleiten. Plötzlich eine Ranfahrt auf Mühlen, der mir von seiner Migräne erzählte. Dann die Bitte um ein Glas Wasser. Ich hatte kurz das Zimmer verlassen. Als ich zurückgekommen war, hatte er meinen Telefonhörer in der Hand, weil er angeblich seine Frau anrufen wollte.
Plötzlich war ich sicher, daß er die Wanze in dem Hörer in-
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stalliert haben mußte. Was aber hatte Mühlen mit der Sache zu tun? Ich fange an, Gespenster zu sehen, dachte ich.
Mühlens Lebensinhalt waren seine Krankheiten und seine verpaßten Karrierechancen. Andere »Auffälligkeiten« hatte ich bisher nicht festgestellt. »Der kann keiner Fliege was zuleide tun«, murmelte ich vor mich hin.
Kaum hatte ich es gesagt, als ich die Szene vor mir sah: Mühlen auf der Jagd nach einer kleinen Fliege, die durch ihn ein plötzliches Ende auf meiner weißgetünchten Bürowand fand. Es hatte keinen Sinn, jetzt darüber nachzudenken. Carolas Befreiung stand an erster Stelle.
Ich rief bei Rita an. Sie meldete sich sofort.
»Tut mir leid, Rita«, sagte ich, »ich
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