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Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen

Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen

Titel: Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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ist der Oberbegriff Roma. Sie wurden aber auch schon Nomaden, Landfahrer und fahrendes Volk genannt . Die neueste Erfindung der Bürokraten ist: mobile ethnische Minderheit. «
    »Was für ein sprachlicher Schwachsinn!«, schüttelte Kleist den Kopf. »In der Liste der polizeilichen Abkürzungen hat sich das auch schon niedergeschlagen: MEM. Das erinnert doch stark an die Jahresendflügelfigur der DDR. Ich habe die Kollegen in der Pressestelle auf das Wort Roma festgelegt. Damit machen wir wohl nichts falsch.«
    Nach einer Runde Béla Bartók hatten wir ausreichende Bettschwere. Bevor wir in die Kissen fielen, schaute ich noch kurz nach meinen Mails.
    Maxi Singer hatte sich gemeldet. Sie hatte für den nächsten Tag einen Termin mit der Lehrerin der Romaauffangklasse ausgemacht. Endlich konnte ich das Foto des unbekannten Jungen herumzeigen.

Kein Geld zum Auffangen
    Betty Fuchs-Pullmann war eine mütterlich wirkende Frau. Die grauen Haare trug sie zu einem Zopf gebunden. Die Kleidung erinnerte an eine Mischung aus politisch korrektem Jutesack und linksdrehendem Zipfellook. Die Lehrerin war schon im Ruhestand. Die Stadt hatte sie aber gebeten, sich ehrenamtlich für Romakinder zu engagieren, und sie hatte sofort zugesagt. Die Nordstadt war ihr nicht unbekannt, sie hatte viele Jahre lang in einer Hauptschule unterrichtet. Hauptschule – das allein war schon Hardcore. Hauptschule in der Nordstadt – das war die Steigerung davon.
    Betty Fuchs-Pullmanns Büro in der Nordmarktschule war schäbig. An den Wänden Kinderzeichnungen, in der Ecke kaputtes Spielzeug, zwei Holzstühle und ein kleiner Tisch. Ein Wasserkocher auf der Fensterbank, daneben mehrere Kaffeebecher und ein Glas mit Kaffeeweißer.
    Sie hatte meinen überraschten Blick bemerkt. »Ich bin nichts Besseres gewohnt«, lächelte sie. »Die Schule müsste mal richtig saniert werden, doch es fehlt das Geld dazu. Aber es geht auch so. Wichtig sind allein die Kinder. Leider kommen nur zwanzig zum Unterricht. Manche werden von den Eltern geschickt, andere weist uns das Jugendamt zu, denn die Schulpflicht gilt für alle in Bierstadt lebenden Kinder.«
    »Nur zwanzig?«, wunderte ich mich.
    »In den Häusern leben natürlich sehr viel mehr. Aber an die kommen wir nicht so einfach ran. Der Stadt ist das aus Kostengründen sogar ganz recht. Es fehlen Lehrer, die mitmachen. Die Romakinder haben keinerlei Sozialisation erlebt. Sie können sich nicht konzentrieren, sie haben nie einen Kindergarten oder eine Schule besucht. Die Verständigung ist nur über Zeichen und Bilder möglich. Als ich zum ersten Mal Buntstifte auf den Tisch legte, wussten die Kinder damit nichts anzufangen. Inzwischen hat sich wenigstens das geändert.«
    Die Lehrerin ging zur Wand und nahm einige Blätter ab.
    »Sehen Sie mal. Das haben die Kinder gemalt. Die meisten sind hellwach und auch begabt. Wenn die Kleinen richtig gefördert würden …«
    »Sehr hübsch«, lobte ich. »Besonders die bunten Müllhaufen mit den blauen Plastiksäcken.«
    »Kinder malen das, was sie in ihrer Wirklichkeit sehen«, lächelte Betty Fuchs-Pullmann. »Und sie sehen nicht viel anderes als Elend, Müll und Angst. Achten Sie mal auf die männlichen Personen. Sie sind dunkel, groß und furchterregend dargestellt.«
    Das stimmte: Männer waren klobig und dunkel, Kinder und Frauen wirkten winzig und verschüchtert.
    »Wie alt sind Ihre Schüler?«
    »Zwischen sechs und zehn Jahren. Bei denen läuft es mit der Förderung eigentlich ganz gut. Am schwierigsten sind die Vierzehn- bis Sechzehnjährigen. Die Mädchen sehen einer Karriere als Prostituierte entgegen und die Jungs gelten in diesem Alter bei den Roma als erwachsen. Viele der Jugend lichen sind verheiratet und haben sogar selbst schon Kinder.«
    »Wie kommen Sie an die Kinder heran? Setzen Sie Dolmetscher ein?«, fragte ich.
    Betty Fuchs-Pullmann lachte auf. »Wo sollen wir die denn herkriegen? Und selbst wenn es sie gäbe, wer sollte sie bezahlen? Nein, ich mache das mit der Erzählkasten-Methode. Ich erzähle eine Geschichte und zeige den Kindern ein passendes Bild dazu. Fernsehen für Arme sozusagen. Und nach ein paar Wochen haben die meisten begriffen, dass das Tier auf dem Bild Vogel heißt.«
    »Ich habe hier ein Foto von einem Jungen. Wir haben es am Montag gemacht, als der Straßenstrich geschlossen wurde. Das Kind könnte ein wichtiger Zeuge in dieser Geschichte mit der toten Frau sein.«
    Betty Fuchs-Pullmann betrachtete die Aufnahme.
    »Der Kleine

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