Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen
heraus.
Ich schrieb den Artikel über die pädagogischen Bemühungen der Lehrerin. Die ganze Zeit beschäftigte mich die Frage, wo der kleine Ivo sein mochte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ihn beschützen zu müssen.
Am späten Nachmittag – ich bereitete mich gerade seelisch auf den Feierabend vor – stürzte der Bluthund in mein Einzelzimmer.
»Polizeieinsatz im Norden«, rief er. »Ein paar Roma haben die Kleiderkammer der Diakonie überfallen und sind dabei, sie auszuräumen. Kommst du?«
Zwei Stunden später schrieb ich den zweiten Artikel über die Nordstadt an diesem Tag.
Roma überfallen Kleiderkammer – Sozialarbeiter unter Polizeischutz
Fünfzig Roma haben gestern die Wohnungslosenberatung der Diakonie in der Nordstadt überfallen und die Sozialarbeiter mit einem Messer bedroht. Der Anschlag galt der Kleiderkammer für bedürftige Menschen.
»Da waren Frauen mit Kindern dabei. Die Männer waren sehr aggressiv«, so eine Mitarbeiterin der Diakonie.
Es ist der zweite Vorfall dieser Art. Schon vor vier Wochen haben einige Roma die Türen der Beratungsstelle mit Stuhllehnen von innen blockiert, um Kleider aus der Kammer zu entwenden.
»Die Sachen sind dann auf einem Parkplatz in der Nordstadt verkauft worden«, erzählte die Sozialarbeiterin. »Und zwar auf dem Parkplatz, auf dem ein Reisebus hält, der zwischen Bierstadt und Plovdiv verkehrt.«
Gestern führte die Polizei die Roma aus dem Gebäude und stellte die Personalien fest. Anschließend wurden sie freigelassen. »Eine Anzeige ist sinnlos«, so ein Polizeisprecher.
Die Diakonie will jetzt einen privaten Sicherheitsdienst engagieren, um künftig solche Vorfälle zu verhindern.
»Wenn eine große Gruppe von Menschen auf alle Regeln pfeift, ist eine soziale Einrichtung wie wir nicht mehr funktionsfähig«, bedauert die Sozialarbeiterin. Man werde Handzettel in bulgarischer Sprache verteilen und ankündigen, dass die Kleiderkammer ab sofort geschlossen sei.
»Wir müssen gründlich aufräumen und überlegen, wie wir unsere eigentliche Aufgabe – die Beratung von Wohnungslosen – wieder erfüllen können.«
Idee am See
Mein Schlaf war unruhig, immer wieder geriet ich ins Grübeln. Gutmensch zu sein, ist nicht einfach, wenn diejenigen, die du schützen willst, dich mit Gewalt konfrontieren. Die attackierte Sozialarbeiterin war völlig aufgelöst und auch enttäuscht gewesen. Sie hatte alles richtig machen wollen und musste dann doch die Polizei holen.
Ich erinnerte mich an einen freilaufenden Kater, den ich im Winter jeden Tag mit Futter versorgt und der mich im Frühjahr aus Dankbarkeit in die Hand gebissen hatte.
Man soll sich vor Verallgemeinerungen hüten. Nicht alle Roma überfallen eine Diakonie und nicht alle Kater beißen die Hand, die sie füttert.
Ich hatte weder Brot noch Kaffee zu Hause. Also nichts wie hin zu Frau Schmitz.
»Tach auch.«
»Die Frau Grappa! Selber Tach. Wie isses dir?«
»Muss. Und selbst?«
»Muss.«
»Ich brauch ein kleines Frühstück mit viel Kaffee.«
Anneliese Schmitz nickte. »War wohl ’ne lange Nacht, was?«
»Eher eine kurze«, antwortete ich.
»Sieht man. Dann geh doch schomma durch ins Bistro. Frühstück kommt gleich.«
In der kleinen Kaffeestube war nicht viel los. Das Bierstädter Tageblatt lag in schönster Zweisamkeit mit der Blöd-Zeitung auf einem Tisch. Die Konkurrenz hatte sich selbstverständlich auch mit dem Überfall auf die Wohnberatungsstelle der Diakonie befasst:
Zigeunerclan raubt Kleiderkammer aus – Polizei lässt Schuldige laufen
Frau Schmitz brachte den Kaffee. »Schlimme Sache«, meinte sie. »Warum schickt man die Zigeuner nicht nach Hause zurück?«
»Weil man das nicht kann«, antwortete ich. »Sie haben das Recht, hier zu leben und zu arbeiten. Bulgarien gehört zur Europäischen Union.«
»Arbeiten? Nutten und Taschendiebe? Nee, Frau Grappa, das siehst du zu romantisch!« Die Bäckerin schüttelte verständnislos den Kopf. »Soll doch die Frau Merkel mal so ’ne Gruppe in ihren Garten einladen. Dann weiß die schomma Bescheid.«
In der Redaktion erwartete mich die Einladung zu einer Pressekonferenz. Ein gewisser Phil Sikowitz von der Investorengruppe Amiga hatte das Schreiben unterzeichnet. Thema der Konferenz war: Bau eines Großbordells am See.
»Den Bau müssen wir im Sinne unserer Stadt verhindern«, gab mir Chefredakteur Schnack mit auf den Weg. »Wir werden eine Kampagne starten. Ein Großbordell an unserem neuen See! Was für eine Ohrfeige ins
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