Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen
niemand
In der Redaktion erzählte ich Pöppelbaum davon. Wayne war perplex. »Die Kleine geht anschaffen?« Wir hatten uns in die Kantine zurückgezogen.
»Das heißt noch lange nicht, dass POM Krüger sie vergewaltigen darf.«
»Ich weiß, Grappa. Und das meine ich nicht. Aber sie wirkt so … unschuldig auf mich.«
»Ist eine Frau schuldig, wenn sie ihre Familie am Leben erhält?«
Wayne setzte seinen Kaffeebecher so hart auf den Tisch, dass die Brühe überschwappte. »Du redest schon wie die Tussen von der Mission, Grappa. In unserem Staat verhungert niemand. Irgendwo gibt es immer eine Unterstützung.«
»Viele dieser Roma wollen aber nichts vom Staat. Sie kennen Staat nur aus Bulgarien. Und der diskriminiert und verfolgt sie.«
»Klar, und deshalb sind Kriminalität und Prostitution die einzigen Alternativen!«, rief er zornig aus. »Warum arbeiten die Burschen nicht einfach, statt ihre Töchter auf den Strich zu schicken?«
»Wayne!« Langsam wurde ich auch sauer. »Du fragst Dinge, die du längst weißt. Aber ich sag’s dir gern noch mal: Die Roma haben meist keine Ausbildung. Nix gelernt, keine Arbeit, keine Kohle. Und dass bei uns die Arbeit sogar für bestens ausgebildete Menschen nicht reicht, ist dir auch nicht neu, oder?«
Er schwieg, und zwar laut. Also hatte er noch was in petto.
»Sie ist zwei Jahre lang auf den Strich gegangen«, krächzte er endlich. »Jeder dreckige Kerl, der zwanzig Euro übrig hatte, ist über sie drübergerutscht. Und du hast das gewusst, Grappa!«
»Ja, und?«
»Wenn du eine echte Freundin wärst, hättest du mir das sagen müssen.«
»Sie ist längst da raus und hat mit ihrer Familie gebrochen«, erinnerte ich Wayne. »Du hast sie als junge Frau kennengelernt. Sie ist keine Hure mehr.«
»Wir haben uns geküsst«, gestand er bitter. »Und danach hat sie mir alles erzählt. Eiskalt.«
»Sie war bestimmt nicht eiskalt«, gab ich zurück. »Sie wollte dich nicht hintergehen, und das spricht für sie.«
»Wenn ich daran denke, dass ich ihren Mund geküsst habe! Den Mund, der tausend Schwänze gelutscht hat. Ich könnte kotzen!«
»Sie war kurz davor, kaputtzugehen. Die Mission hat Ivana da rausgeholt, nachdem ein Freier, der sie mochte, merkte, dass sie so einem Leben nicht gewachsen war. Sie ist von ihrer Familie misshandelt und von Männern vergewaltigt worden. Muss ich noch mehr erzählen?«
»Mir kommen die Tränen, Grappa!«, sagte Wayne höhnisch. Tatsächlich hatte er feuchte Augen. »Na ja, egal.« Er richtete sich auf und atmete tief durch. »Die Sache ist vorbei. Aus und vorbei.«
Du kannst mir viel erzählen, dachte ich.
»Dann ist ja alles in Butter.« Ich erhob mich. »Es ist immer wieder klasse, wie konsequent ihr Männer seid.«
Ich entschied mich für die Wahrheit. Donka verdiente Geld, indem sie ihren Körper verkaufte, und ich würde das so schreiben. Auch wenn einige Leser dann die sexuelle Nötigung des Mädchens als weniger schlimm empfinden würden.
Eine Hure hatte mir vor Jahren mal erklärt, dass zu viel Aufhebens um Sex gemacht würde. Für sie sei ›das‹ nicht so schlimm, wie einen dreckigen Boden zu putzen oder ein Klo sauber zu machen. In Zeiten des geschützten Sexes sowieso. Als Putzfrau kriegt man einen Hungerlohn und legt sich acht Stunden am Tag krumm, als Hure legt man sich ein paarmal hin am Tag, muss sich nicht so anstrengen wie die Putzfrau und verdient an einem Tag mehr als die Putzfrau in einem Monat.
Eine pragmatische Sichtweise, die die verlogene Moral unserer Gesellschaft an die Wand klatscht. Ich jedenfalls hatte mit Huren, die ihren Job freiwillig machten, weniger Probleme als mit Politikern, die in öffentlichen Stellungnahmen die Prostitution verdammten, um dann nachts – wenn Mutti und Kinderchen schliefen – auf die Pirsch zu gehen. Ich titelte:
Überfallene Roma: »Wir hatten schreckliche Angst«
Kalo Zima (55) und seine Familie sind in die Wohnung zurückgekehrt, die am Freitag Ziel eines Überfalls war. Die Möbel sind zertrümmert, es stinkt nach Urin und auf dem Boden tummeln sich Essensreste. Spuren einer nächtlichen Attacke, an der mutmaßlich ein Bierstädter Polizeibeamter (siehe Foto) beteiligt war. Kalo Zima wurde von dem Mann geschlagen (Foto), als er seine Tochter Donka (16) schützen wollte.
»Wir werden hier wohnen bleiben«, erklärt das Romafamilienoberhaupt dem Tageblatt. »Wir bezahlen Miete und tun niemandem etwas zuleide. Wir verstehen nicht, warum man uns geschlagen und unsere
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