Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen
Ist der Chef ein Freund von Ihnen? Hat er Sie deshalb auf Platz eins gesetzt?«
»Davon weiß ich nichts. Und ich habe keine Lust, hier über Schwachsinn zu diskutieren.« Schnack knallte den Terminordner auf den Tisch. »Haben Sie sonst noch etwas zum journalistischen Tagesgeschäft beizutragen, Frau Dr. Wurbel-Simonis?«
»Immer gerne. Mein Artikel über die Auswilderung von Schleiereulen schlummert schon seit Tagen im Stehsatz«, antwortete Wurbelchen. »Es wäre mal an der Zeit, ihn zu veröffentlichen. Bevor die Vögel von heimischen Jägern wie Ihnen abgeknallt werden.«
»Liebe Kollegin«, meinte ich nach der Redaktionskonferenz zu Wurbel. »Das war ganz großes Kino.«
»Sie sind die Letzte, von der ich Anerkennung brauche, Frau Grappa«, blaffte sie.
»Ich weiß«, lächelte ich mild. »Ich wundere mich nur, dass Sie so auf Schnack losgegangen sind. Und dass er Jäger ist, war uns allen neu. Sie haben gut recherchiert.«
»Der Krug geht eben nur so lange zum Brunnen, bis er bricht. Das kulturelle Banausentum in dieser Redaktion nimmt Ausmaße an, gegen die man sich wehren muss! Siebzig Prozent meiner Themenvorschläge werden abgelehnt, sodass ich mich schon um die Auswilderung von dämlichen Flattermännern kümmern muss, um überhaupt was zu tun zu haben. Mir reicht es! Ich habe gekündigt.«
»Bitte?« Ich traute meinen Ohren nicht. Wurbel-Simonis stand ein paar Jahre vor der Rente und gab ihren sicheren Arbeitsplatz auf?
»Ja. Der Brief ist unterwegs. Sie sind die Erste, die es erfährt. Mein neuer Job wird mich endlich wieder fordern.«
»Und? Wo geht es hin?«
Wurbelchen drückte das Kreuz durch und wurde ein paar Zentimeter größer. »Ich werde in sechs Monaten in die Pressestelle der Kölner Philharmonie wechseln. Als stellvertretende Leiterin.«
»Dann viel Glück«, meinte ich. »Sie werden mir fehlen. Uns allen.«
Sie sah mich ungläubig an und suchte Spott in meinem Blick. Doch da war keiner. Wir hatten es einfach verpasst, uns zu mögen.
Hawaiihemd bringt Augenkrebs
Am Nachmittag meldete sich Marko. Er schlug ein Treffen noch am gleichen Tag vor. In einer Kneipe im Norden. Ich rief Friedemann Kleist an.
»Es gibt da nur ein Problem«, sagte ich. »Marko glaubt, dass ich ein ehemaliger Freier und ein Mann bin. Leider sehe ich aus wie eine Frau.«
»Zum Glück. Für mich jedenfalls. Und wie willst du bis heute Abend eine Geschlechtsumwandlung hinkriegen?« Sein Spott war greifbar.
»Ich suche einen Mann, der mich begleitet. Und dann schenke ich Marko reinen Wein ein.«
»Und wenn Marko der Täter ist?«
»Würde er sich in dem Fall mit mir treffen?«
»Vielleicht will er den Verdacht so von sich ablenken«, entgegnete Kleist. »Aber gut, ich werde mitkommen. Wo trefft ihr euch?«
Kleist kostümierte sich als Terminator. Jeans, bunt bedrucktes T-Shirt, verspiegelte Sonnenbrille und ein bestickter Gürtel. So hatte ich ihn noch nie gesehen und machte entsprechend große Augen.
Ich hatte Marko zurückgeschrieben, dass der Terminator als Erkennungszeichen eine Baseballmütze mit Bier-Reklame tragen würde. Ich hatte so ein Teil mal auf einer Pressekonferenz geschenkt bekommen.
Kleist wehrte sich nur schwach. Er setzte die Kappe auf und wir machten uns auf den Weg. Er betrat die Kneipe zuerst, ich folgte kurze Zeit später. Natürlich taten wir so, als würden wir uns nicht kennen.
Kleist hatte sich auf einen Barhocker im Innenraum geschwungen und unterhielt sich mit dem Wirt. Ich suchte mir einen Platz im Außenbereich. Marko konnte kommen.
Im Norden der Stadt wurden die Kinder nicht gleich ins Bett verbannt, nur weil es dunkel wurde. Abends ging es erst richtig los mit dem Spielen und Schreien. Ein Ball flog knapp an meinem Kopf vorbei und erwischte ein Glas Bier am Nebentisch. Gelächter rundherum und kein empörtes Getue.
Der Kleine, der den Ball geworfen hatte, wischte das Bier vom Stuhl und benutzte dazu sein T-Shirt. Worte, die ich nicht verstand, wanderten von Tisch zu Tisch. Schließlich zog der Junge grinsend davon.
Ich trank einen Schluck Rotwein, streckte die Beine von mir und entspannte mich. Ich schloss kurz die Augen. Als ich das nächste Mal nach Kleist sah, saß ein Fremder neben ihm. Ein dicklicher Mann um die vierzig, mit schütterem Haar und teigiger Haut. Sein großblumiges Hawaii-Hemd verursachte bei längerfristigem Betrachten Augenkrebs. Die beiden sprachen freundlich miteinander. Von einer Bedrohung war nichts zu bemerken.
Endlich sah Kleist zu mir
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