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Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen

Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen

Titel: Grappa lässt die Puppen tanzen - Wollenhaupt, G: Grappa lässt die Puppen tanzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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waren Hinrichtungen und Hexenverbrennungen sogar Volksfeste.«
    »Sensationsgier und die Lust am Gruseln«, meinte ich. »Aber nicht jeder, der diesen japanischen Film gesehen hat, schnappt sich danach ein Baby und isst es auf.«
    »Natürlich nicht. Doch steter Tropfen höhlt den Stein. Denk an die Amokläufe an Schulen – fast immer ist jahrelanger Konsum von Gewaltvideos vorausgegangen. Diese Machwerke verletzen gezielt Grundwerte unserer Kultur.«
    »Trotzdem bin ich gegen Zensur«, sagte ich.
    »Ich ja auch. Es geht aber um Verbrechen und nicht um die Freiheit, sich zu informieren.«
    Kleist blieb über Nacht. Heute war mein Schlaf trotzdem nicht entspannt. Schreie, Wimmern, Blut und schreckensgeweitete Augen begleiteten mich bis ins Morgengrauen. Inwieweit Menschen wohl abstumpfen, wenn sie jeden Tag solche Filme sehen?, fragte ich mich.
    Ein starker Kaffee brachte mich wieder in eine einigermaßen stabile Seelenverfassung.
    Auch Kleist hielt es nicht lange im Bett. Er nahm sich einen Becher und setzte sich zu mir in die Küche.
    »Ich werde Frau Rose für den Nachmittag vorladen«, kündigte er an.
    »Und vorher greife ich sie mir«, grummelte ich. »Die Sache mit den Pferdebeinen muss geklärt werden.«
    »Auch dazu werde ich sie befragen. Kannst du deine Füße so lange unter dem Tisch halten, bis ich mit der Vernehmung fertig bin?«
    Sein Handy meldete sich, bevor ich etwas versprechen konnte. Er hörte dem Anrufer zu und sagte dann: »Ich bin schon auf dem Weg, Herr Kollege.«

Eine Frau fällt aus dem Fenster
    In der Redaktion erwartete mich folgende E-Mail:
    Gemeinsame Presseerklärung der Staatsanwaltschaft und der Polizei Bierstadt:
    Versuchtes Tötungsdelikt
    In den frühen Morgenstunden des heutigen Tages um 4:47 Uhr kam es in der Straße Nordmarkt zu einem versuchten Tötungsdelikt. Lebensgefährlich verletzt wurde eine noch nicht eindeutig identifizierte Frau, die zum jetzigen Zeitpunkt in einem Krankenhaus notoperiert wird. Zeugen beobachteten, wie ein bislang nicht identifizierter Mann die Frau aus einem Fenster im ersten Obergeschoss warf. Mehr ist über den Tathergang nicht bekannt. Die Mordkommission hat Ermittlungen wegen versuchter Tötung aufgenommen. Wir berichten nach. Von telefonischen Anfragen bitten wir derzeit abzusehen.
    Ich stutzte. Was bedeutete: noch nicht eindeutig identifizierte Frau?
    Ich schob die Frage zunächst beiseite, denn es war Zeit für die Redaktionskonferenz. Der Brief des Oberbürgermeisters war tatsächlich veröffentlicht worden – mit einem sogenannten ›Redaktionsschwanz‹.
    Aus Gründen der Meinungsvielfalt veröffentlicht unsere Zeitung die Stellungnahme des Bierstädter Oberbürgermeisters, widerspricht aber in aller Schärfe den darin geäußerten Behauptungen.
    Das klang lahm. Unsere Leser würden sich schon ihren Teil denken. Schnack war angeschlagen – das war klar.
    Er bemühte sich, die heutige Konferenz knappzuhalten. Die aktuelle Tagesarbeit wurde verteilt. Bärchen Biber wurde mit einem Bericht über die Bürgerinitiative Gegen Großbordell am See beauftragt, ich bekam vierzig Zeilen für den Fenstersturz, Wurbel-Simonis erhielt ein Ja für ihren Vorschlag, die Videoinstallation in einem Bierstädter Kulturzentrum zu verdammen. Simon Harras beobachtete die Auslosung der Fußballrunden in der Champions-League und hatte danach einen Termin bei Trainer Peter Mopp.
    Ich kam mir vor wie in dem Film Und täglich grüßt das Murmeltier, in dem der Held in einer Zeitschleife festsitzt und albtraumhaft wieder und wieder denselben Tag durchlebt.
    Ich bin zu lange in diesem Job, dachte ich, ich sollte mal was anderes machen. Aber was?
    Ich dachte den Gedanken nicht bis zu einer Antwort. Wayne zog mich nach der Konferenz beiseite.
    »Ivana ist verschwunden«, teilte er mir mit.
    »Was bedeutet: ›verschwunden‹?«, hakte ich nach. »Habt ihr euch getrennt, oder was?«
    »Nein. Ihre Sachen sind noch da.«
    »Du machst dir Sorgen?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Sie bekam gestern Abend einen Anruf und zog anschließend ihren Mantel an. Ich fragte sie, wo sie hinwollte, und sie antwortete, dass eine Freundin Hilfe bräuchte. Aber ich sah in ihren Augen die Lüge. Ich ließ sie trotzdem gehen. Grappa, ich komme mir vor wie der Hauptdarsteller in einer Schmierenkomödie!«
    »Du übertreibst!«, entgegnete ich.
    »Sie hat ihr Handy liegen lassen«, sagte der Bluthund leise. »Und ich hab wieder nachgesehen. Alle Nummern aus der Anruferliste sind gelöscht, die

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