Grappa und die keusche Braut
Weiterhin wurde bekannt, dass die Pädagogin seit vielen Wochen eine sexuelle Beziehung zu dem 18-jährigen Patrick Sello hatte. Bisher galt Sello aufgrund der Aussage der Lehrerin als der Täter. Er selbst kann sich zu den Vorwürfen nicht mehr äußern, er starb ebenfalls bei dem Massaker. Bisher dachte man, er richtete sich selbst am Ende der Bluttat. Nun scheint es, als könne er zu den Opfern der blutigen Ereignisse auf Schloss Waldenstein gehören.
Ein paar Zeilen hielt ich für die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft frei. Pöppelbaums Fotos überzeugten mich nicht. Die Dinge, die auf der Toilette geschehen waren, waren zwar nur schemenhaft zu erkennen. Die Tatsachen waren aber klar. Das Ganze bereitete mir ein schlechtes Gefühl. Die Bilder neben den Artikel zu stellen, wäre eine weitere Demütigung gewesen – nicht nur für Lara Lindenthal, sondern für alle Frauen.
Ich rief Anton Brinkhoff an und bat ihn um ein Treffen in Schmitzens Bistro.
»Ich bin mal eben für eine Stunde außer Haus«, teilte ich Jansen mit. »Meinen ersten Artikel kannst du schon lesen. Mit dem Rest warte ich und gucke, was bei der Vernehmung der Lindenthal herauskommt. Falls Herr Dr. Kleist sich nicht wieder zuknöpft.«
»Was ist mit den Fotos?«
»Das lassen wir«, antwortete ich. »Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Bei solchen Bildern denkt die Fantasie die Geschichte zu Ende. Immerhin bezeichnen wir uns gern als Familienzeitung.«
»Na gut, Grappa. Es ist deine Story.«
So mochte ich meinen Chef.
Frau Schmitz hatte den Tisch im Bistro für drei gedeckt. Es war Mittagszeit. Brinkhoff hatte sich im Schloss abgesetzt. Dort glaubte man, der neue Hausmeister sei im Baumarkt.
»Hallo, Frau Schmitz, wie isses dir?«
»Muss. Und wie isset dir selbst?«
Durch das Duzen hatte der Charme des jahrelangen Begrüßungsrituals gelitten. Aber wir würden schon einen neuen Weg finden.
»Ich hol ma die Schnittchen.«
»Was gibt es Neues im Schloss?«, fragte ich.
»Die Schüler, die noch da sind, sind völlig durcheinander«, berichtete Brinkhoff. »Dass die Lindenthal verhaftet worden ist, ist natürlich bis zum Schloss durchgedrungen. Lerchenmüller hat sich mit Anwälten in Klausur begeben. Eins muss man ihm ja lassen – er kümmert sich um die Lindenthal wie ein Vater.«
»Wie ein Vater?«, zweifelte ich. »So alt ist Lerchenmüller nicht, dass der bei so einer Hammerfrau auf Papi macht. Außerdem …« Ich berichtete von dem Film und dem Verhältnis von Lara Lindenthal und ihrem Schüler.
Frau Schmitz tischte auf.
»So lässt es sich leben, Anneliese«, seufzte Brinkhoff verzückt. »Das Frühstücksbuffet im Schloss kann da nicht mithalten.«
»Findet eigentlich überhaupt noch Unterricht statt?« Ich ließ ein Stück Parmaschinken in meinen Mund gleiten.
»Nee, das nicht. Ab morgen sind sowieso Ferien. Es gibt Gesprächsgruppen mit Psychologen. Wer nach Hause will, kann gleich abreisen.«
»Es ist traurig, dass es für die psychologische Betreuung nach solchen Gewalttaten schon eine Art Routine gibt «, fiel mir ein. »Aber es ist sicher besser, als wenn es diese Beratungen nicht gäbe .«
»Man weiß gar nicht, ob die es besser haben, die nach Hause können, oder ob die Betreuung im Schloss sinnvoller ist«, überlegte Brinkhoff.
»Das wird nicht für alle gleich sein«, meinte ich. »Die Ideallösung ist wahrscheinlich, Eltern und Betreuer tun sich zusammen.«
»Es ist schließlich ein Internat«, überlegte Brinkhoff weiter. »Viele Eltern wohnen weit entfernt. Und einige Schüler können gar nicht nach Hause. Das sind vor allem die mit problematischen Eltern.«
»Problematische Eltern haben bestimmt auch die Rabauken, die mich überfallen haben«, warf Anneliese Schmitz ein.
»Und wie kommt das Schloss mit den Brandfolgen zurecht?«, wollte ich wissen.
»So schlimm sind die Schäden dann doch nicht. Einige der Zimmer sind schon wieder hergerichtet. Ein paar Schüler sind provisorisch untergebracht, in der Bibliothek und in kleineren Seminarräumen. – Kann ich mal den Senf haben?« Brinkhoff drückte einen Klecks auf das hart gekochte Ei.
Frau Schmitz sah ihm zu und lächelte. Sie war immer zufrieden, wenn ihre kulinarischen Überraschungen gut ankamen. »Willst du noch Kaffee, Frau Grappa?«
»Wenn du mir noch welchen gibst, Frau Schmitz, gerne!«
Ja. Das war’s doch. Frau Grappa, Frau Schmitz und das Du.
Brinkhoff grinste. »Ich darf aber Grappa zu dir sagen, Grappa,
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