Grappa und die keusche Braut
millionenschwere Haushaltsloch im Wahlkampf versteckt hatte.
»Klar«, meinte ich, als ich Jansens Artikel dazu las. »Parteien thematisieren im Wahlkampf grundsätzlich die eigenen schlechten Seiten.«
»Genau, Grappa«, sagte Jansen. »Hätte er zugegeben, dass Bierstadt pleite ist, hätten ihn die mündigen Bürger aufgrund seiner Wahrheitsliebe gewählt. Ich glaube, dass dieses ganze System mal überholt werden müsste. Eine Untersuchung hat ergeben, dass kein Mensch glaubt, dass in der Politik ehrliche Menschen unterwegs sind. Der Begriff Politiker ist ein Synonym für Lügner. Ist das nicht schrecklich?«
»Lass gut sein, Peter! Nach jeder Wahl stehen an den Trögen andere Schweine. Wie geht es jetzt weiter in Bierstadt?«
»Neuwahlen«, verkündete mein Chef lapidar. »Bald. Jetzt geht das Gekungel in den Parteien los.«
»Ich mag Nagel«, tat ich kund. »Und weißt du, warum?«
»An seinen Zähnen kann es nicht liegen«, freute sich mein Chef.
»Stimmt. Aber er kann einen Vermeer von einem van Gogh unterscheiden.«
»Auch ein Grund, einen Politiker zu unterstützen«, lachte Jansen nun laut. »Und vielleicht nicht der schlechteste.«
Caro wusste von dem Feuer auf Schloss Waldenstein. Sie war am Boden zerstört, als ich nach Hause kam.
»Alle meine Sachen sind verbrannt. Die Fotos von meinen Eltern. Jetzt habe ich gar keine Erinnerungen mehr an sie.«
»Caro!« Ich nahm sie in den Arm. »Deine Erinnerungen sind doch im Kopf und in deinem Herzen.«
Sie schluchzte an meiner Schulter und ich hielt sie.
Ein Kobold in meinem Kopf müpfte auf. Was ist los mit dir, Grappa? Verspätete Muttergefühle? Bricht dein Pflegetrieb durch? Igitt, wie uncool.
Nein, sagte mein Herz, du zeigst nur eine normale menschliche Reaktion, die man Trösten nennt. Mach weiter so, Grappa. Passt zwar nicht zu dir, aber lange hältst du das sowieso nicht durch.
Ich bereitete ein leichtes Abendessen. Salat, Brot, Käse, Wasser und Wein. Caro war schweigsam. Ich wollte sie ablenken.
»Kannst du mir später den Film zeigen, der die Lindenthal unmöglich gemacht hat? Oder ist der auch verbrannt heute?«
»Nein«, sagte Caro. »Ich habe die Sequenz auf meinem Netbook gespeichert – wie wahrscheinlich die ganze Clique. Bei ausstieg.de ist das allerdings nicht mehr zu finden.«
»Ist der Film so schlimm, dass die Lindenthal dafür morden würde?«
Die grünen Augen sahen mich an. »Ja, das ist er! Und glaub mal nicht, dass du Spaß daran haben wirst.«
»Eigentlich hatte ich von Frau Lindenthal einen recht guten Eindruck, das macht es etwas schwierig, deine Anklage gegen sie einfach so zu akzeptieren«, warf ich ein.
»Die Lara ist ganz schön schräg drauf«, entgegnete Caro. »Und Patrick konnte ziemlich gnadenlos sein. Er hat dafür gesorgt, dass die ganze Klasse auf Lara herumgehackt hat.«
»Aber du hast doch gesagt, die Lindenthal habe Patrick gequält.«
»Hat sie ja auch. Aber er sie nicht weniger. Dabei fanden wir sie zuerst ganz prima. Wir durften sie ja sogar duzen. Aber dann hat sie es übertrieben.«
Darüber wollte ich mehr wissen. »Sie hat es übertrieben?«
»Ja, das war unglaublich. Wir haben ein Kostümfest veranstaltet und Lara erschien in ganz großem Verführungskostüm. Die Haare waren ganz weit austoupiert. Wie ein Kometenschweif, so sah das aus. Und mitten hinein hatte sie massenhaft Rosenblüten gesteckt, eine besonders große übers Ohr. Dabei ist sie schon normal sehr attraktiv, eine wirklich schöne Frau.«
»Sie hat sich also hübsch gemacht«, ermunterte ich Caro, weiterzuerzählen.
»Wie gesagt – unglaublich! Schulterfrei bis zu den Warzen, sogar die Haut war geschminkt. Dazu die roten Krallen. Kann ich mal an deinen Rechner? Es gibt da ein Foto.«
Ich ließ sie gewähren. Sie klickte sich in ihren E-Mail-Account und rief dort ein Fotoalbum auf. Nach kurzem Blättern hatte sie gefunden, was sie suchte.
In der Tat: Es war ein tolles Bild. Lara hielt in der Rechten eine Rose auf Augenhöhe, wie ein Vamp eine Zigarettenspitze halten würde. Sie war perfekt auf blass geschminkt. Umso auffälliger waren die stark betonten Augen. Die blickten an der Rose vorbei in eine mittlere Ferne. Um den Hals trug die Lehrerin eine dünne Kette, die ein wenig an einen Würgedraht erinnerte. Ihre Schlüsselbeine warfen Schatten und erzeugten den Eindruck kompletter Nacktheit. Die Frisur war, wie Caro sie beschrieben hatte: überwältigend. Lara Lindenthal musste alle
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