Grappa und die Toten vom See
raus?«
»Bald, sacht der Doktor. Die quengeln nur dauernd wegen der Reha. Abba das geht nicht. Was soll aus der Bäckerei werden? Und aus deinen Mandelhörnchen?«
»Mach dir deshalb keinen Kopf«, grinste ich und holte eine Tüte aus meiner Tasche. »Ich hab mir selbst welche gebacken.«
»Au weia!« Anneliese Schmitz öffnete die Tüte, holte ein Hörnchen raus und beäugte es kritisch.
»Bisschen zu weich«, meinte sie, nachdem sie eine Delle ins Gebäck gedrückt hatte. »Du hättest mehr Mehl nehmen sollen, Frau Grappa.«
»Das nächste Mal«, versprach ich.
»Und bräuner könnten die auch sein«, kritisierte sie. Sie biss ein Stück ab, bewegte die Zunge wie bei einer Weinprobe und meinte: »Abba schmecken tun sie!«
»Na, Gott sei Dank«, atmete ich auf. »Soll ich die Bäckerei weiterführen, während du dich hier ausruhst, Frau Schmitz?«
Endlich lächelte sie, wie ich es kannte: verschmitzt.
»Lass ma, Frau Grappa. Schreib lieber weiter so spannende Geschichten. Das Tageblatt krieg ich immer gegen Mittag, wenn die Schwestern es ausgelesen haben. Und im Radio bringen sie die Geschichte auch. Hast du keine Angst, dass die Mossadtypen dich als Nächste killen?«
»Nee, jetzt macht das keinen Sinn mehr«, entgegnete ich. »Jetzt sind die Informationen in der Welt. Kann ich noch was für dich tun, Frau Schmitz?«
»Nee. Du hast selbst genug am Hals, Frau Grappa. Die Kleine ist ja auch noch da. Die hat dem Horsti Trockenfutter in den Hauseingang gestellt, damit er nicht verhungert. Ist das nicht lieb?«
Im Krankenhauskiosk kaufte ich ein Politmagazin, dessen Titelbild mir aufgefallen war: ein Glatzenmann, auf dessen Kopfhaut SS-Runen tätowiert waren.
Entsteht Viertes Reich in Ossi-Land?, war unter der Glatze zu lesen. Eine politische Stiftung hatte eine umfangreiche Untersuchung zum Thema Rechtsradikalismus vorgelegt.
Das war interessant. Ich fuhr zurück zum Verlag und setzte mich in die Kantine – bei einer Kanne Kaffee und einem Brötchen.
Der Zusammenfassung der Studie entnahm ich, dass inzwischen neun Prozent der Deutschen ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild hatten. Besonders hoch war die Quote in Ostdeutschland.
Knapp vierundfünfzig Prozent der Ostdeutschen waren der Auffassung, Ausländer kämen nur nach Deutschland, um den Sozialstaat auszunutzen. In Westdeutschland waren es rund dreißig Prozent. Dramatische Ergebnisse auch beim Antisemitismus: Rund jeder fünfte Befragte gab an, dass auch der Einfluss der Juden schon wieder zu groß sei. Rund zehn Prozent waren zudem überzeugt, dass es wertvolles und unwertes Leben gibt.
Holger Bruns hatte die Studie für das Magazin kommentiert:
Als hätte Deutschland nichts dazugelernt: Fast jeder vierte Befragte wünscht sich eine starke Partei, jeder zehnte sehnt sich nach einem Führer, der Deutschland zum Wohle aller mit harter Hand regieren soll.
Was sind das für Menschen? Haben sie aus der Geschichte nichts gelernt?
Haben diese Menschen ein geringes Bildungsniveau? Haben sie persönlich versagt und suchen jetzt einen Schuldigen dafür?
Rechtsextremisten sind keine Schmuddelkinder am Rand der Gesellschaft mehr, sie kommen aus ihrer Mitte und sind dort fest verankert. Der Grund für die Ansichten dieser Menschen sind Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft. Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, soziale Ungerechtigkeit. Im Gegensatz dazu liest man jeden Tag von Millionenabfindungen für Bankmanager, die ihre Firmen ruiniert und das Geld ihrer Kunden vernichtet haben. Oder von dem Ruhegehalt aus Steuergeldern für einen ehemaligen Bundespräsidenten, der sich Hundertausende Euro von Freunden aus der Wirtschaft zustecken und jedes Unrechtsbewusstsein vermissen lässt. Die offizielle Politik geht auf diese und andere offensichtliche Fehlentwicklungen so ein, dass sie die Probleme negiert oder verniedlicht. So treibt man die Wähler in die rechtsextremen Gruppen.
Gut gebrüllt, Löwe, dachte ich. Allein – eine Lösung, wie man den Rechtsextremismus eindämmen konnte, wusste wohl auch Bruns nicht.
Ich hatte das Magazin gerade zusammengeklappt, als sich Pöppelbaum auf dem Handy meldete.
»Am Hauptbahnhof ist ein verdächtiger Koffer gefunden worden«, teilte er mir mit. »Man vermutet, dass es sich um eine Bombe handelt. Ich fahre schon mal vor.«
Ich legte mein Presseschild hinter die Windschutzscheibe und startete. Vor mir, den Wall entlang war eine Kolonne Polizeiwage unterwegs. Kurz vor dem Bahnhof wurde ich von
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