Grappas Gespuer Fuer Schnee
Frechheit nicht übel. »Lieber nicht! Das Leben wäre so öde ohne euch.«
Wir lachten.
»Zeig mal die Bilder«, bat ich.
Zu dritt gingen wir zum Rechner. Wayne blätterte die Aufnahmen durch. Sie zeigten Polizei und Staatsanwaltschaft vor der SPD-Zentrale in voller Aktion. Vorwärts mit Ehrlichkeit und Solidarität – so prangte es passend auf einem Wahlplakat. Davor Parteichef Mobby Madig in Handschellen, flankiert von zwei uniformierten Beamten sowie Kleist und dem Staatsanwalt.
Nächstes Bild: Madig wird von einem Polizisten auf die Rückbank eines Fahrzeugs gedrückt. Der Beamte hat seine Hand auf Madigs Schädel gelegt, um eine Verletzung am Autoholm zu verhindern.
Bei dem geht nicht viel kaputt, dachte ich, ein Schlag auf den Kopf kann dessen Denkvermögen nur stimulieren.
Schicke Bilder waren das.
»Ich geh schreiben«, trillerte ich fröhlich und schnapptemir die Pizzareste.
»Das Fax der Staatsanwaltschaft liegt auf deinem Schreibtisch, Grappa-Baby!«
Am Nachmittag schrieb ich den fälligen Artikel.
SPD-MADIG VERHAFTET – IST ER DER HOCHZEITS-MÖRDER?
Überraschende Entwicklung im Brautpaar-Fall: Mobby Madig (56) wurde gestern in Handschellen (Foto) abgeführt: Mordverdacht! Madig war Arbeitgeber der ermordeten Sandra B. (28), die zusammen mit ihrem Bräutigam Thomas S. (32) auf den Treppen des Bierstädter Rathauses erschossen worden ist. Bei einer Hausdurchsuchung im Parteibüro der Sozialdemokraten stellte die Polizei ein Gewehr mit Zielfernrohr sicher, Typ Heckler & Koch. Mit einem solchen Gewehr wurde der Doppelmord begangen.
Im Nachlass der Braut wurden außerdem 30.000 Euro gefunden – Geld aus der Parteikasse, wie die von der Polizei beschlagnahmten Unterlagen (Foto) beweisen. In ersten Vernehmungen behauptete der Verdächtige, bei der Summe handle es sich um eine Abfindung für seine ehemalige Mitarbeiterin.
Wie das Tageblatt exklusiv erfuhr, stattete Madig wenige Tage nach dem Mord der Mutter der Sandra B. einen Besuch ab, um das Geld zurückzufordern. Er behauptete, die ermordete junge Frau habe es gestohlen. Die Mordkommission unter Leitung von Hauptkommissar Dr. Friedemann Kleist (Foto) hat jedoch einen anderen Verdacht: Die 30.000 Euro waren Erpressergeld. Aber wofür? Mobby Madig hüllt sich in Schweigen. Dem Tageblatt und den Ermittlungsbehörden ist allerdings bekannt, dass der Politiker regelmäßiger Besucher der Sex- und Drogenorgien im Rathaus war. Gegen Madig wird wegen Verstoßes gegen das Betäubungs- mittelgesetz ermittelt.
Ich wählte noch ein Foto aus, das Madig in besseren Tagen zeigte: Zusammen mit Sandra Becker und Ex-OB Nagel bei einer Diskussionsveranstaltung der Arbeiterwohlfahrt. Im Hintergrund war der Titel der Veranstaltung zu lesen: Entschieden sozial – Entschieden solidarisch – Entschieden sozialdemokratisch.
Eine Tote und zwei Auslaufmodelle, dachte ich, so schnell kann es gehen. Ich konnte es mir nicht verkneifen, eine süffisante Bildunterzeile zu formulieren: Als sie sich noch lieb hatten: Madig, Nagel und Sandra B. vereint im Kampf für soziale Gerechtigkeit.
»Zu flapsig«, meinte Peter Jansen nach der Lektüre. »Als sie sich noch lieb hatten … ts ts ts. Wie wäre es denn mit: Diese Tage sind vorbei: Madig, Nagel und Sandra B. vereint im Kampf für soziale Gerechtigkeit? «
»Ist mir auch recht«, willigte ich ein. »Krieg ich den Rest des Sonntags frei?«
Natürlich hatten die elektronischen Medien bereits das ganze Wochenende über die Vorkommnisse in Bierstadt berichtet. Seit Samstagmorgen war die Stadt im Ausnahmezustand. Madig war zum Abschuss freigegeben. Aber das hatte er sich selbst zuzuschreiben.
Vor dem SPD-Büro hatten Übertragungswagen Position bezogen. Lady Cora legte einen Marathon durch die abendlichen Magazinsendungen hin und präsentierte sich in der BILD am Sonntag als Kronzeugin.
Im TV waren auch Bilder aus Ostdeutschland zu sehen: Mobby Madigs Lustschloss. Es handelte sich um die Datscha eines ehemaligen hohen Stasioffiziers. SPD-Madig hatte sie ihm kurz nach der Wende für ein paar Mark abgeschwatzt. Inzwischen war sie hundertmal so viel wert.
Das Tageblatt würde am späten Abend erhältlich sein. Zum gleichen Zeitpunkt wurden die neuesten Artikel auf der Internetseite online gestellt. Das war gegen elf Uhr abends. Ich wusste nicht warum, aber ich rechnete mit einem Anruf des wirklichen Mörders.
Doch nichts geschah. Weder ging eine E-Mail ein noch schellte das Telefon. Auch an der Haustür klingelte
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