Grappas Gespuer Fuer Schnee
einen großen Becher Kaffee.
Bei den von Elberbergs gab es eine schlesische und eine ostpreußische Linie. Ich überflog die zahlreichen Burg- und Markgrafen seit dem 12. Jahrhundert und wurde schnell müde. Merkwürdig, dass Geschichte – zumindest wenn sie aufgeschrieben wird – fast nur aus Kriegen, Scharmützeln und anderen Gewalttaten besteht.
Das Stammwappen der Familie zeigte auf blauem Feld zwei schräg gekreuzte sechsendige silberne Hirschstangen. Auf dem Helm mit blau-silbernem Federbusch stand eine gekrönte Jungfrau mit langem güldenem Loreley-Haar. Als jüngster Sprößling des Geschlechts war Aldwin von Elberberg verzeichnet, Student.
Ich erinnerte mich an die Nadel mit dem Wappen an seinem Jackett. Das hatte allerdings keine Hirschgeweihe gezeigt, sondern den Reichsadler.
Ich setzte den Vornamen Aldwin vor den Nachnamen und landete auf seiner Homepage. Er war mit dreißig Jahren ein etwas zu alter Student. Aber sonst fiel mir zunächst nichts Ungewöhnliches auf. Unter dem Titel Aktuelles wurde ich dann fündig. Aldwin gehörte einer Burschenschaft an, dem Corps Potentia, das von Elberberg mit seiner Seite verlinkt hatte.
Ich klickte auf den Link.
Vor mehr als 250 Semestern gegründet, kann unsere Burschenschaft auf einige Höhen und Tiefen in ihrer Geschichte zurückblicken. Doch egal, ob wir uns Repressalien durch die Öffentlichkeit ausgesetzt sahen oder mit unserer Meinung dem Zeitgeist entsprachen, stets verband und verbindet unsere Mitglieder der Wille, auf der Basis einer freiheitlich-konservativen Grundordnung eine politische Meinung zu bilden und diese nach außen zu vertreten, fernab jeglicher politischer Opportunität. Die Verteidigung unserer traditionellen Werte ist unsere größte Herausforderung.
Das hörte sich sehr nach gestern, aber nicht kriminell an.
Das Corps Potentia hatte den schwarzen Reichsadler im Wappen. Der Wahlspruch lautete Virtus fidesque bonorum corona. Ich aktivierte meine rudimentären Lateinkenntnisse und kam auf folgende Übersetzung: Tugend und Treue, die Krone der Guten.
Was wollte der Dichter damit sagen? Keine Ahnung. Ob mir Brinkhoff aus meiner Ratlosigkeit helfen konnte? Ich erreichte ihn auf seinem Handy.
»Ich werde den Herrn Studenten observieren«, kündigte Brinkhoff an. »Er kennt mich nicht und wird keinen Verdacht schöpfen.«
»Hat er Sie in der Bibliothek nicht bemerkt?«
»Kann ich mir nicht vorstellen«, antwortete der Hauptkommissar im Ruhestand. »Ich bin noch nicht so lange aus dem Job raus, dass ich alles verlernt hätte. Ich melde mich, sobald es was zu erzählen gibt.«
Nach der Redaktionskonferenz überflog ich die Konkurrenzzeitungen. Nichts Neues über die beiden Mordfälle. Das Interesse meiner Kollegen schien zu erlahmen. Neue Themen drängten sich in den Vordergrund: Eine Frau in Kalifornien hatte Achtlinge bekommen, obwohl sie schon sechs Kinder hatte. Eine italienische Patientin durfte nach siebzehn Jahren im Wachkoma endlich sterben.
Die konservative Regierung von Silvio Berlusconi hatte mit einem Gesetz die Sterbehilfe für die 38-Jährige verhindern wollen. Auch der Vatikan hatte immer wieder gegen die ›Euthanasie‹ argumentiert.
Das passt ja super, dachte ich. Die Mörder von Marta Russo hatte Berlusconi begnadigen wollen und diese junge Frau versuchte er, zum Weiterleben zu zwingen.
Auch Milva Grandis Elan, jeden Tag mit einer Schauergeschichte in ihrem Schmuddelblatt vertreten zu sein, schien verflogen. Ich blätterte die BILD durch. Bierstadt war nur einmal erwähnt.
WAR DER SEX ZU HEISS? HUREN-MOBIL STEHT IN FLAMMEN
Ein mächtiger Bums erschüttert einen VW-Bus in Bierstadt. Es ist das Sex-Mobil der Prostituierten Lola M. (28; Name von der Redaktion geändert). Dann brennt der Liebeswagen lichterloh. In letzter Sekunde rettet sich die Hure aus dem Bus. Sie erleidet Verbrennungen zweiten Grades, wird später im Krankenhaus behandelt. Die Feuerwehr löscht den Brand mit Schaum. Das Liebesgefährt ist nicht mehr zu retten. Der Freier wird gesehen, wie er hinter einem Busch seine Kleidung anlegt und das Weite sucht.
Es langte.
Der Tag plätscherte dahin. Bis zum frühen Nachmittag. Sekretärin Stella überraschte mich mit einer für sie ungewöhnlichen Aktivität. Sie brachte mir höchstpersönlich ein Fax in mein Büro.
»Ist bestimmt interessant für dich«, nuschelte sie durch ihr Kaugummi.
Ich schaute auf der Papier und erstarrte: Mobby Madig hatte den Mord gestanden. Allerdings den falschen. Er gab
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