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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grimms Woerter
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jedoch wurden von einem Katechismus bestimmt, der wie alles
Katholische dem K anhing. Dessen Lehrsätze sowie das Sündenregister des Beichtspiegels
paukte mir ein Vicar ein, dem es schweißtreibende Mühe bereitete, cölibatär zu
leben, weshalb er uns Kinder, Knaben wie Mädchen, die ihm allesamt lieb waren,
gerne befingerte. Danach verschwand er scheu lächelnd in einer Kammer neben der
Sakristei, die ihm als Clausur oder Klausur diente.
     
    Gleich
einem Comic mit Sprechblasen und dennoch spannend wie ein Crimi liest sich, ab
wann im Tauschhandel der Buchstaben etwas Halbrundes sich eckig zu spreizen
beginnt, wie aus Cloake eine Kloake, aus Nicolaus ein Claus und später ein
Klaus wird. Deshalb weist Jacob vorbeugend auf den schwankenden Gebrauch von C
und K hin, zugleich auf Wörter, denen sich das Z anbietet. Schreiben wir doch
Keller, aber auch Celle und Zelle, wie wir Cement als Zement mit Sand zu Beton
mischen, den Cirkel als Zirkel kreisen lassen und nach gegenwärtiger Laune, sobald
uns das Schaf Dolly im Traum chockiert, den Clon als Klon fürchten.
    Schon
früh wurde aus Capital Kapital, die Communisten erschreckten als Kommunisten
die Bürger und wurden wohl deshalb im Wörterbuch mit Platzverbot bestraft. Doch
jede Crise gebar die nächste Krise. Hingegen hielt das Kreuz als Cruzifix am C
fest. Citrone blieb Citrone. Und Cicero und Cäsar wurden, wenn man vom Kaiser absieht,
gleichfalls verschont. Bei Kaffee, Kakao, Kanone und Krone jedoch ging das C
flöten, konnte sich aber, trotz des Handels mit faulen Krediten, bei der
Commerzbank behaupten. In einer längeren Geschichte ließe sich erzählen, wie
aus dem Cinema das Kino wurde. Wer erinnert sich noch? Einst gab es die
Classen-Lotterie. Und als der Not gehorchend die »Sociale Frage« gestellt
wurde, kam es zum Classenkampf.
    Jacob
wird, als er seine Wahl treffen und begründen mußte, Unbehagen gespürt und, wie
er später einführend zum dritten Buchstaben des Alphabets schrieb, »dumpfe
willkür« empfunden haben, als er aus dem Wust ursprünglich lateinischer
Wörter, die nun ein K vor sich hintrugen, jene zu filtern begann, die, wie
Calender, vorerst dem C anhänglich blieben. Er entschloß sich zur »radicalen
auslese«. Was hieß: ihm fragwürdige Wörter ließ er aus nur zu erahnenden
Gründen weg, sicher, weil ihm manch wörtliches Gebilde zu aufdringlich
neuzeitlich roch oder ihn ängstigte, da es abseits und fremd seiner rückgewandten
Wissenschaft mit dem C prunkte.
    Zum
Beispiel die Chemie, vor deren Retortenwörtern er später, viel später in einer
Rede die von ihm versammelten Germanisten warnte. Und mit der Chemie censierte
er alle Chemikalien, gab der Chemieindustrie keine Chance, sich Fremdwörter
heckend in seinen Spalten zu entwickeln, was sie allerdings nicht hinderte, nah
und fern gelegene Märkte mit immer neu gerundeten Pillen zu füttern, bis sie
als in Concernen geballte Wirtschaftsmacht so allumfassend herrschte, daß ihr
Arzte, Apotheker und Politiker hörig wurden: anfangs corrupt, dann korrupt,
allzeit geschmiert.
    Als
gegenwärtige Lobby kauft sie sich in Parlamente und Ministerien ein. Sie
fördert Gesetze, creiert Minister, die ihr gefällig sind. Sie regiert mit, ohne
gewählt, controlliert, ohne unter Controlle zu sein. Sogar die Landwirtschaft
folgt der Chemie als Agrarindustrie aufs Wort, denn ihr Angebot reicht vom
chemischen Dünger bis zu Pestiziden, denen kein Unkraut gewachsen, kein Insekt
heilig ist.
    Ganz
zu schweigen von Medikamenten, deren Nebenwirkungen nach weiteren Medikamenten
mit anderen Nebenwirkungen verlangen. Fromm, als wollten wir ein Credo
anstimmen, schlucken meine Ute und ich einträchtig vorm Frühstück, nach dem
Abendessen jeweils einen Cocktail bunter Pillen; wie landesweit Millionen
Greise und Greisinnen Pillen schlucken. Pillen für, Pillen gegen. Zum Beispiel
alles, was frei oder rezeptpflichtig im Handel ist, um den Cholesterinspiegel
zu senken.
    Zudem
wartet die Chemie mit Produkten - vormals Producten - auf, die von creativen
Biochemikern ersonnen wurden, damit wir, im Sinne von Fortschritt, der Cellmanipulation
mächtig werden. Kaum noch redenswert ist der inzwischen genveränderte Mais;
doch sobald mir Chimären vor Augen sind, frage ich mich, weshalb diese nicht
erst seit Watson und Crick zu erklügelnden Ausgeburten menschlicher Hybris
kein Stichwort hergeben durften. Von den Grimms einfach weggelassen, obgleich
es sie von Anbeginn gegeben hat: dreiäugig, vielköpfig,

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