Grass, Guenter
noch
einmal fragte - oder war es Bahr, der die Frage stellte? -, ob vielleicht der
eine oder andere bereit sei, mit kleinen, aber auch längeren Beiträgen des
Kandidaten Reden zu bereichern, war, zum Erstaunen des Dutzends und wohl auch
des Regierenden Bürgermeisters, ich, der Bürgerschreck, ein nur mit Vorbehalt
zugelassener Gast, der einzige, der den Finger hob.
So
geschah es. Solange der Wahlkampf lief, saß ich im Büro Egon Bahrs über
Redemanuskripten und versuchte, was zu papieren klang, dinglicher, bildhafter
werden zu lassen, etwa im Sinn von Butter aufs Brot.
Ich
weiß nicht mehr, zu welch zündenden, womöglich Beifall auslösenden Einfällen
ich gekommen bin. Hier spitzte ich zu, dort strich ich weg. Zum Beispiel
umständliche Satzanfänge, die Brandts Scheu, ich zu sagen, entsprachen. So
wurde es mir zur Regel, Wendungen wie »Der hier spricht, meint...« oder »Dem
hier das Wort gegeben ist, drängt es...« durch selbstbewußtes »Ich sage, ich
bekenne, ich habe, werde, ich bin« zu ersetzen.
Egon
Bahr blieb skeptisch, was meine vorsorgliche Ich-Betonung betraf. Wenn es mir
gelinge, auch nur ein Drittel der ins Manuskript geschmuggelten Ichs in die
später gehaltene Rede zu retten, sei mein Beitrag zum Wahlkampf verdienstvoll
gewesen.
Als
sich Gelegenheit fand, bei der einen oder anderen Reise in die westdeutschen
Provinzen, jeweils nach Charterflug von Berlin-Tempelhof aus, auf
Marktplätzen, in überfüllten Sälen dabei zu sein, beschlich mich kindlicher
Stolz, sobald ich hörte, wie er mit rollendem R die Bürger Heilbronns, die
Bürger Darmstadts ansprach, indem er der Menge verkündete: »Ich bin...« - »Ich
werde...« - »Ich sage...« - »Ich will...«
Es
fiel mir leicht, mein »Hundejahre«-Manuskript zu verlassen, um Hilfsdienste
für ihn zu leisten und fortan öffentlich Partei zu ergreifen. Von Zeit zu Zeit
schraubte ich das Tintenfaß zu, verließ die Windstille meiner Werkstatt, setzte
mich wechselndem Wetter aus. Das hatte Folgen: ich wurde zum gelernten Sozialdemokraten.
Was heißt, ich kam nie an, suchte kein Endziel, blieb unterwegs, bin es immer
noch...
Doch
das sei abermals betont: angestoßen, politisch zu werden, hat mich nicht Willy
Brandt, sondern der allerchristlichste Kanzler. Er, der sich aus Nächstenliebe
den Kommentator der Rassengesetze, Hans Globke, als Staatssekretär hielt, er,
dem das christliche Abendland nur bis zur Elbe reichte, er verdächtigte den
Emigranten Brandt »alias Frahm« unterschwellig des Landesverrats. Sein
Christentum katholischer Machart gab ihm ein, uneheliche Herkunft als Makel
anzuprangern. Konrad Adenauer war jedes Mittel recht, weshalb er noch immer als
Staatsmann gilt.
Doch
mit dem Umweg über die christliche Heuchelei bis hin zum Mißbrauch des
Stichwortes Christus, Christ, mittelhochdeutsch Krist geschrieben, bin ich
beim Buchstaben C angelangt. Er galt, weil zum Austausch gegen andere Buchstaben
geeignet, den wörtersammelnden Brüdern Grimm als Wechselbalg, weshalb er im
zweiten Band ihres deutschen Wörterbuchs zwischen B und D nur siebenunddreißig
doppelspaltige Seiten füllen durfte.
DIE CASUR
Sprechchöre
höre ich, die bis in die achtziger Jahre hinein das Chaos beschrien: »Macht
kaputt, was euch kaputt macht!« Aber ganz und gar kaputt, mit K geschrieben,
waren am Ende die Schreier nur. Bettine von Arnim hingegen setzte, als sie
wieder einmal von ihren Capriolen erschöpft im Schneidersitz auf dem Canapee
hockte und dabei Wilhelm Grimm einen Brief schrieb, eingangs ein C: »ich fühle
mich ganz caput«, weshalb in nur wenigen Spalten, in denen nach Jacob Grimms
kritischer Auswahl im zweiten Band des Wörterbuchs hausgehalten wird, zwischen
Cabale und Curtisane das Wörtchen caput samt Citat zu finden ist; dem
jubilierenden hohen C jedoch, mit dem die heilige Cäcilie den Cherubim
nacheifert und höchstoben tiriliert, wurde keine Zeile gegönnt.
Was
sonst noch mangelt. Daß die Cisterziensermönche nicht vorkommen, entspricht den
Regeln des Wörterbuchs, warum aber fand sich für Cosmos kein Platz? Das Chaos
ausgespart. Kein Clown durfte im Circus Grimassen schneiden. Auffällig fehlt
Calvins Lehre, denn die Geschwister Grimm wurden im churhessischen Städtchen
Steinau nach reformierter Confession, was hieß, in calvinistisch farbloser
Strenge erzogen. Zu Lutheranern hielt man Distanz. Die wenigen Catholiken in
ihrer Umgebung, wie deren Catechismus, waren ihnen so bunt wie fremd.
Meine
jungen Jahre
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