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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grimms Woerter
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Herzensweh
flüchtete, nunmehr auf Ordnung. Man wollte sich in Zucht nehmen und vorerst nur
dem Buchstaben B folgen. Jacob bestand darauf. Mit anlautendem be, das er zur
nahen Silbe bei sah, der er späterhin drei einleitende Spalten widmete, reihte
er das Beben, den Becher, den Bedarf, kam auf beabsichtigen, bearbeiten,
beäugen und hätte mir, der ich mich in seine Schreibstube drängte, mit einem
weiteren Stichwort, Beerdigung, Gelegenheit geben können, ihm von jenem
Sommertag des Jahres fünfundachtzig zu berichten, als wir - seine Söhne,
Wallraff, Kopelew und ich - Heinrich Boll zu
Grabe trugen, wozu, dem Leichenzug vorneweg, Zigeuner aufspielten, deren
Melodien wehmütig verwehten und zugleich alle Trauernden zum Tanz bewegen
wollten.
    Ich
hätte Jacob mit Böllzitaten füttern mögen, wäre vom Befehlsnotstand zur
Befehlsverweigerung, von der Beichte zum Beichtgeheimnis, vom stillen Gebet auf
die scheinheiligen Betschwestern gekommen und hätte sprunghaft mit der ihn bis
aufs Krankenlager bösartig verfolgenden Bild-Zeitung ein Stichwort mehr mitsamt
Zitaten liefern können; dann aber ist es wohl Wilhelm gewesen, der mich zur
Seite schob, an meiner Stelle dem Bruder über die Schulter schaute, meinen
Wortbeitrag »Beerdigung« überging und märchenkundig, wie es sein Ruf verlangte,
vom althochdeutschen pesamo über das mittelhochdeutsche beseme auf den bis
heute gebräuchlichen Besen kam. Von ihm ließ sich Besenbinder ableiten. Und
Bettines hexisch anmutendes Wesen wird ihm den Besenstiel nahegelegt haben.
Hatte sich dessen Flugtauglichkeit doch bei besonderem Anlaß bewiesen: auf
Walpurgis zum Beispiel, wenn von Göttingen aus nur einen Luftsprung weit ins
Harzgebirge...
    Bis auf den Brocken hoch
    beeilen sich nächtens Hexen bergauf,
    wo zur Begattung mit Beelzebub,
    jede bereit ist, ihm beizuliegen,
    sobald er sie bocksbeinig aufs Wolkenbett wirft.
    Seht
nur: beritten auf Besen,
    gebunden
aus Binsenreis
    oder
haarig mit Borsten bestückt,
    fassen
sie beidhändig Stiele.
    Hört
nur: ein bimmelnd Glöckchen
    beendet
die Brunst, weil die Zeit um ist.
    Was
gestern noch, bevor besondrer Besuch kam
    -Belial,
wer sonst! - dienlich dem Bretterboden,
    bis
er blitzblank und besenrein, muß jetzt,
    sagt
die biedere Hausfrau, zurück in die Besenkammer:
    Besen,
Besen, seid's gewesen...
    Was
wiederum einen Hinweis auf den Gymnasiallehrer Klee erlaubt, der mit dieser
altbekannten Beschwörung, die jedem Zauberlehrling geläufig sein sollte,
zitatsicher den Brüdern Grimm zugearbeitet hat. Mir aber war keines Meisters
wunderwirksamer Stab zur Hand, kein Besenritt konnte mich beschleunigen,
vielmehr bewegte ich mich über Jahre hinweg nach Schneckenart bergaufwärts, dann
wieder auf abschüssiger Bahn von B nach B, kritzelte beiläufig in mein
Tagebuch, wie ich von Bebel zu Brandt gekommen, wobei mir auf dieser Wegstrecke
immer wieder ein gewisser Eduard Bernstein begegnet sei, der es verstanden
habe, auf nüchtern besonnene Weise zwischen August Bebel und Willy Brandt zu
vermitteln.
    Des
erstgenannten Buch, »Aus meinem Leben«, hatte mich mit dem Beginn der
Arbeiterbewegung bekannt gemacht. In des anderen Nähe brachte mich der Bau der
Berliner Mauer. Was aber Bebel und sein Buch betrifft, hätte ich mich gerne -
wäre es jemals dazu gekommen - an einem dreiteiligen Film fürs Fernsehen
beteiligt, der dessen frühe Jahre als Drechslergeselle belichtet, dann seine
trickreichen Bemühungen während der bedrückenden Zeit der Sozialistengesetze,
danach Bebels Position im endlosen Revisionismusstreit, schließlich die Zürcher
Beerdigung, wie im »Butt« beschrieben steht. All das hätte ich den heutzutage
so geschichtsfernen Genossen bekannt gemacht; aber sie wollen nicht wissen,
woher sie kommen, kaum ahnen sie, wer ihresgleichen mit deutlicher Kriechspur
über Durststrecken hinweg bewegt hat.
    Immerhin
besitze ich einen Aschenbecher aus seiner Zeit. Den schnörkeligen Messingguß,
der ihn als Relief im Profil zeigt, schenkte mir Leo Bauer, ein längst
verstorbener Freund, der sich nach langer sibirischer Haft vom kommunistischen
Glauben und dessen Unbedingtheit zum Einerseitsandererseits der
Sozialdemokratie bekehrt hatte. Bauer war zugleich mit Brandt und Wehner
befreundet; ein Meisterstück der Balance.
    Oft
ist Bebels Bekenntnis »Wir buhlen nicht um die Gunst der bürgerlichen
Parteien!«, das als Inschrift meinen Aschenbecher schmückt, von abgebrannten
Streichhölzern bedeckt. Er und hilfsweise der an ihn

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