Grass, Guenter
zu werden. Schon wollte sich Jacob in seine Grammatik, Wilhelm
ins hohe Mittelalter verkriechen, wo er bei Konrad von Würzburg Zuflucht zu
finden hoffte, da fand freudig erregte Post von Leipzig nach Kassel.
Reimer
schrieb: »Man erwartet hier stündlich die Nachricht vom Tode des Königs. Gebe
Gott, dass die bevorstehnde Aenderung eine günstige ist...«
Danach
kam der Verleger sogleich auf das Wörterbuch. Er beklagte den schleppenden
Verlauf der Suche nach Stichwörtern zum Buchstaben A und bedauerte, daß erste
Lieferungen noch nicht im Druck seien. »Das wäre das schönste Denkmal zur
Jubelfeier...«
Hiermit
ist das Leipziger Fest zur Buchdruckerkunst gemeint. Anfangs wurden die
Feierlichkeiten, wie in Berlin, gegen den Willen der Behörden geplant, dann
kurzum verboten, schließlich fanden sie doch statt. Gegen Ende Juni ging es an
drei Tagen hoch her. In Bierlaune wurden zünftig Deftiges, aber auch nach
Freiheit lüsterne Forderungen laut. Von Reimer und Hirzel eingeladen, nahmen
Jacob Grimm und Dahlmann daran teil, hielten aber Abstand zu lärmigen
Wirtsstuben, in denen »radicale Declarationen« von Tisch zu Tisch flogen.
Um
diese Zeit war der dritte Friedrich Wilhelm bereits tot. Er starb am 7. Juni.
Abseits der angeordneten Ceremonien trauerten nur wenige. Ihm folgte ein
gekräuselt backenbärtiger Sohn der einst sogar vom Volk geliebten Königin Luise
auf Preußens Thron: der vierte Friedrich Wilhelm, den man, weil er
altehrwürdige Bauwerke und mit der Zeit gedunkelte Bildwerke hochschätzte, den
»Romantiker« nannte.
Das
hatte Folgen und weckte Hoffnungen. Schrieb Karl Reimer doch den Brüdern: »Der
neue König von Preussen scheint doch von vielen Vorurtheilen frei zu sein, die
den verstorbenen befingen...«
Und
Bettine von Arnim wird den Tod des einen wie die Nachfolge des anderen bejubelt
haben, weil sie den einen ob seiner verstockten Haltung mißachtet, den anderen
schon als Kronprinzen mit beschwörenden und im Sinne wohlmeinender
Fürstenerziehung belehrenden Briefen eingedeckt hatte. Wenn Reimer, weil er
das Ende adliger Vorherrschaft erwartete, beglückt meldete, »Eichhorns, eines
Bürgerlichen Berufung ist gewiß«, konnte Bettine, die während Jahren nicht
müde geworden war, allerorts die Bestellung der Grimmbrüder in gesicherte
Position anzumahnen und schließlich laut zu fordern, doppelt gewiß sein,
endlich Gehör zu finden.
Doch
erst am 2. November 1840 kam Eichhorn zum Zuge. Bald erreichte die Brüder ein
Schreiben des Cultus-Ministers mit dem verbrieften, an Jacob übermittelten
Wunsch des Königs, »dasz Sie nebst Ihrem Herrn Bruder in den Stand versetzt
werden, die große und überaus schwierige Aufgabe, welche Sie sich in der
Ausarbeitung eines vollständigen critischen Wörterbuchs der deutschen Sprache
gestellt haben, hier in sorgenfreier Musze unter Benutzung in der Hauptstadt
sich darbietender Hilfsmittel und Fördernisse lösen.«
So
sehr die Brüder von Jugend an im hügelig waldigen Hessen heimisch waren,
folgten sie dennoch nach nur kurzem Zögern der Einladung, zumal sie nicht in
Staatsdienst gestellt werden sollten; was hieß, sie mußten keinen Eid auf eine
Verfassung leisten, die nach königlicher Willkür irgendwann hätte gebrochen
werden können. Als Privatgelehrte durften sie, finanziert aus königlichen
Dispositionsmitteln, mit 2 000, später, befördert durch Alexander von
Humboldts Fürsprache, immerhin 3 000 Talern Salär ihrer Arbeit nachgehen.
So
üppig hatte man sie weder im knauserigen Kassel - ausgenommen Jacobs Tätigkeit
als Bibliothekar unter Napoleons Bruder Jeröme - noch während ihrer Göttinger
Jahre honoriert. Hinzu kamen weitere Gesten des frisch Inthronisierten: es war
ihnen erlaubt, an der Universität Vorlesungen zu halten, wenngleich beiden,
aus Rücksicht aufs hannoversche Königshaus, keine Berufung zuteil wurde; Jacob
war immerhin Mitglied der Akademie der Wissenschaften, geehrt seit der
Göttinger Zeit.
Auch
sonst tat sich einiges in Preußen. Der junge Komponist Mendelssohn Bartholdy
erhielt als getaufter Jude den Auftrag, das Musikgeschehen der lutherischen
Christgemeinde, mithin den Chorgesang zu reformieren. Und nach Erlaß des
Königs hatte sich die Centraibehörde zur Verfolgung von Revolutionären und
sonstigen Demagogen aufzulösen. Savigny setzte als Justizminister Gesetze in
Kraft. Häftlinge kamen auf freien Fuß. Sogar die Pressecensur wurde, wennzwar
nicht aufgehoben, so doch gelockert. Man durfte weitere
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