Grass, Guenter
darauf ein, indem er die auf chen lautenden wie am Schnürchen gereiht
aufsagt, Brüstchen, Kindchen, wobei er nicht versäumt, an gotische und
altdeutsche Vorformen wie Prustiii und Chindili zu erinnern.
Nachdem
Wilhelm die Verkleinerungsform mit dem Hinweis auf das anhängliche lein bei
Knäblein, Fräulein, Männlein erweitert hat, finden sie eine Steinbank, die im
Schatten von Wacholdersträuchern steht.
Jacob
ergänzt aus alter Quelle. Bluemeckin, Vögelchin sagt er, um dann mit dem
gebräuchlichen Vögelchen auf Barockdichter wie Opitz und Lohenstein zu
verweisen, bei denen sich aber auch Seelichin und Teuflichin findet.
Wilhelm,
der nicht ganz bei der Sache zu sein scheint und bunt aufgeputzte
Spaziergänger, die, wie der Berliner sagt, »ins Jrüne« streben, mit bissigen,
das Hühnervolk bemühenden Vergleichen kommentiert, fallen nun Titel einiger
seiner Märchen ein, in denen manch zärtliche Verkleinerung das grausam Böse
mildern. Nach dem Wolf und den sieben Geißlein nennt er Brüderchen und
Schwesterchen, danach das tapfere Schneiderlein. Er kann kein Ende finden und
zählt nach dem gedeckten Tischlein die Mitglieder seiner anderen Familie wie
ihm verwandte Seelen auf: Rotkäppchen, Dornröschen, natürlich Schneewittchen,
aber auch das Mädchen ohne Hände, dann kommt er auf die Mär vom Tode des
Hühnchens.
Jacob
hingegen, dem später die Verwendung des Diminutivs eine längere Abhandlung
wert sein wird, besteht darauf, den unterschiedlichen Gebrauch der
Verkleinerung durch die Schlußsilben chen und lein systematisch zu ordnen.
Zwar, sagt er, »heißt es männlein und auch männchen, wie schon im
althochdeutschen mannilo und mannecho gesagt wurde, aber ansonsten ist chen
mehr in der prosa des gemeinen lebens gebräuchlich, wie lein der poesie und der
schwungvollen rede vorbehalten ist, weshalb chen natürlicher, lein edler und
feierlicher klingt.«
Wilhelm,
der plötzlich steht, wieder gehen will, hin zum Teich, in dem Goldfische
sehenswert sind, wendet ein, daß die jeweilige Ansprache eine Rolle spiele. Man
sage, wenn zärtlich gesprochen werde, deshalb nicht Äugehen sondern Äuglein,
nicht Knöchelchen, sondern Knöchlein.
Was
Jacob zu ergänzen weiß. Auf dem Weg zu den Goldfischen und der halbnackten
Venus höre ich: »Nicht bächin, sondern bächlein.« Dann fügt er hinzu: »doch ist
der höhere ton des lein dem zutraulichen des chen gleichbedeutend, wir
gebrauchen männchen und weibchen, aber nach Luther spricht die Bibel von
>männlein und weiblein<.«
»Doch
der Hase macht Männchen, wenn er sich aufrichtet.«
»Und
der Esel wird Grauchen genannt.«
»Wir
sagen bisschen und nicht bisslein.«
»Aber
im Oberdeutschen hört man oft bissel.« Nun fallen Wilhelm angesichts einiger
Rabatten am Wegrand, in Richtung der einladenen Stühle und Tische am Platz zu
den Zelten, Blumennamen ein: Tausendschönchen und Stiefmütterchen.
Und
Jacob besteht darauf, daß Pünktchen genauer als Punkt und Krümelchen kleiner
als Krümel oder Krume ist. »Übrigens«, sagt er, »nennt Lessing einen alten
lieben Mann: mein Altchen.«
Sogar
Adverben fügen sich für Wilhelm dem Diminutiv. Stillchen, Schönchen, ruft er
und weiß, daß die Sprache des Volkes recht kühn und lebendig verkleinernde
Wörter fügt: »Gutabendchen! Achgottchen! Im pommerschen Platt werden Vornamen
zärtlich verkleinert und mit einem ing geschmückt: Dörting, Fritzing, Uting.«
»Und
im Hessischen, lieber Bruder, wo wir im Grunde immer noch wurzeln, sagen die
Leute, wenn sie >was denn< meinen >wasdennerchen<.«
Dann
aber, während sie schon beim Caffee, auch Mocca geheißen, am Platz bei den
Zelten sitzen, wo an anderen Tischen fülligen Damen Törtchen credenzt werden
und Sonnenschirmchen mildernde Schatten werfen, kommt Jacob abermals auf das C
an sich und dessen Anfälligkeit für Wechsel. Er sagt, was später geschrieben
steht: »bei längerer einbürgerung wird statt französischem ch auch sch
geschrieben, so bei schalmei und schaffet, doch sagen wir weiterhin charpie und
charmant.
Indessen
Brüderlein und Brüderchen am Rande des Tiergartens weiterhin den Diminutiv
variieren und das Chamäleonhafte des Buchstaben C als etwas Confuses, weil
Unbestimmtes definieren, erinnere ich mich daran, vor vielen Jahren in der
holsteinischen Wilstermarsch bei wechselhaftem Wetter nahe dem Stör- und
Elbdeich in einem Dorf namens Wewelsfleth gelebt zu haben. Dort begegnete mir
auf dem Weg zu meiner Werkstatt oft ein alter Mann,
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