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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grimms Woerter
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Prinzip Gewalt, indem sie
Gewalt gebiert bis zur Zerstörung alles Bestehenden. Um ihre Hüfte reiht eine
Kette die Köpfe enthaupteter, von ihr geköpfter Charaktermasken. Darüber hätte
ich mit Heinar Kipphardt sprechen sollen; aber wir hatten uns nichts mehr zu
sagen.
    Und
ähnlich wortkarg mögen sich später Jacob Grimm und Hoffmann von Fallersleben
begegnet sein. Was ungesagt blieb. Was als Narbe bleibt. Was durch keinen
Consens zu heilen, worüber die Zeit, dieser Vielfraß, hinweggegangen war. Was
aber dennoch Anlaß und Datum hatte: Wilhelms Geburtstag, ein
Theaterprogrammheft mit leeren Seiten, die Ausweisung des Dichters
Fallersleben, die Entlassung des Dramaturgen Kipphardt, der Umschlag von
verbaler in tödliche Gewalt.
    Das
eine geschah wenige Jahre vor der achtundvierziger Revolution und ihren
Märzgefallenen; und der Streit um Abschußlisten war Folge der im Jahr
achtundsechzig proklamierten Revolution, die sich in Sprechchören, Manifesten,
Sit-Ins und Diskussionen erschöpft hatte. Schließlich wurden wie zu jeder Zeit
Tote gezählt. Jeweils folgte bleierne Stille. Damals schrieb ich ein Gedicht
unter dem Titel »Danach«, dessen Schluß befindet: »Danach kommen Rechnungen
ins Haus. Unsere Schulden vergessen uns nicht.«
     
    Ob
Wilhelm Grimm, der sich den Buchstaben D reserviert hatte, sonst aber wie
unbeteiligt Abstand zur Wörtersuche hielt, zu einem ähnlichen Befund hätte
kommen können? Oder Jacob, der immer noch, wenn auch lustlos, dem C verpflichtet
blieb? Wohl kaum. Beide schienen dem Zeitgeschehen des Vormärz entrückt zu
sein. Erhaben, wie ein Denkmal ihrer selbst, wirken sie auf jener Radierung von
Ludwig Emils Hand. Als Doppelporträt ins Profil gebracht, schmückte es
späterhin Buchdeckel und machte ihr Ansehen weltweit bekannt.
     
    Um
sie aus starrer Pose zu befreien, muß ich mich von ihrem Conterfei lösen, sie
endlich nach langwährender Krankheit auf die gewohnte Bahn bringen. Und schon
sind sie täglich, weil als Stubenhocker von Wilhelms Frau Dorothea angetrieben,
unterwegs, sobald es das Wetter erlaubt, wobei beide nun doch wieder, weil sie
nicht anders können, Wortketten knüpfen, inwendig oder halblaut.
    Jeder
geht, wie üblich, eigene, von Lenne geebnete Wege, auf denen ihnen zu ihrem
Arger manchmal Pfeifen- und Cigarrenraucher begegnen, obgleich nach kurzer
Duldung das Rauchen im Tiergarten verboten ist; doch dann treffen die Brüder
einander wiederum und tauschen aus, was sich gespeichert hat.
    Weil
der Buchstabe C, wie anzunehmen ist, seines umstrittenen Besitzstandes wegen
noch immer Jacob Sorge bereitet und er sich soeben, wenn auch nach längerem
Zögern, entschieden hat, die Crise aufzusparen und später als Krise dem
Buchstaben K zu überantworten, schlägt er dem Bruder vor, nunmehr die mehrfache
Geltung des ch in Betracht zu ziehen. Es sind, wie er sagt, »die organischen
hochdeutschen kehlaspirata der auslaute und inlaute«, die ihm Vergnügen
bereiten. Ich höre ihn einsilbig Bach, Dach, Blech, Buch, aber auch frech,
dich, ich reihen.
    Wilhelm,
dazu ermuntert, fügt zweisilbige Wörter dazu, die mit dem Kehllaut enden.
Bottich sagt er, Rettich. Dann kommt er zu zwei- und dreisilbigen, die ein ch
einschließen: Sache, Rache, Sprache, Sichel und brauchen, fauchen, suchen,
fluchen, sowie versprochen, gebrochen, gerochen.
    Sie
stehen auf einer Brücke, die mit zierlich geschmiedetem Geländer einen
Wasserlauf überwölbt. Gesträuch links rechts. Seitliches Sonnenlicht durchs
Blattwerk gebrochen. Eine Ente mit ihrer Aufzucht im Kielwasser. Jacob weist
auf den Kehllaut vor dem t und dem s hin, dem das gotische k zugrundeliegt.
Flucht sagt er, Docht, Wicht, Hecht, Nacht. Und gleich k lautet es bei Wachs,
Dachs, Fuchs sowie bei Achse und Wechsel.
    Wilhelm
ist sich sicher, daß vormals der Block Bloch geheißen habe. Ableitend will er
aufs ck kommen, von Stock und Pflock auf Glucke und Zucker.
    Aber
Jacob weist, weil sie nun nahe der Luiseninsel stehen, auf einen Haubentaucher
hin und ist nicht abzulenken.
    Um
die Nähe von ch zu k zu belegen, weiß er Beispiele aus dem Alemannischen, dem
Schweizerischen, wo immer noch Chappe für Kappe und Chnopf für Knopf gesagt
werde.
    Sie
trennen sich, um einander nach einzeln begangenen Wegen und Umwegen durch den
sommerlichen Tiergarten abermals zu begegnen. Vorm Sockel eines Denkmals, das
einen brandenburgischen Churfürsten erhöht, verlangt es Wilhelm danach, den
Diminutiven in ihren Hauptarten zu folgen.
    Jacob
geht

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