Grass, Guenter
Erstgeburt hergab,
als sei sie ihm schnurzegal
und nicht das Gelbe vom Ei,
ergab sich auf ewig Erbrecht aufs Eigentum;
die Erbschaftssteuer jedoch
wurde erst später, viel später erdacht:
Streit seitdem, nie endender Streit.
Jacob
erachtete ihn als gering. Mir aber will in seiner Vielfalt der Buchstabe E
schön klingen. Gerne sage ich Elritze, ergehe mich unter Eschen und Eichen,
erinnere mich beim Entenessen an einst gegessene Enten, ecke Buchseiten Eselsohren,
gieße eingelegten Heringen Essig nach, bin des Bernsteins Einschluß, entfliehe
der Enge, hänge am Euter, erzeuge, erzähle, pfeife auf Ehre, verlache, was sich
erhaben gibt, habe es mit dem neutralen es, sage: es tagt, es nachtet, treibt,
zieht, tobt, dunkelt, beschämt, verwundert, zerstreut mich, es hat sich was,
es will so sein, es ist wie es ist, es war ein König in Thüle, es blies ein
Jäger wohl in sein Horn, es zogen zwei Grenadiere, es ist ein Ros entsprungen,
»es war«, wie Goethe sagt, »ein herzig veilchen«, und bei Johannes steht: »es ist
vollbracht«.
Doch
Wilhelm gegenüber, der es mit dem Buchstaben D nicht eilig hatte, gerne bei
Einsilbern wie Dank, Deich, Dieb, Dorn verweilte und schon den Durst
vorwegnahm, mäkelte Jacob am E an sich, indem er, um Wortwegstrecken voraus,
von einem »unursprünglichen, darum auch schwankenden, unbestimmten vocal«
sprach, dem er nachsagte, er habe »in unsrer spräche allzusehr um sich
gegriffen und ihren wollaut beeinträchtigt«.
Als
Beispiel führte er das reine kräftige A an, wie es sich klangvoll im Gotischen
finde: »vas manna habands ahman.« Mit Hilfe einer gesuchten Satzfolge hielt er
dagegen, das dünne E bleibe eher blaß: »vergebens, er endete erst den letzten
jenner«, und fügte hinzu: »solche eintönigkeit ist kaum in andern zungen
möglich.«
Aber
Hirzel drängte: nun müsse das E abgeerntet werden. Und Wilhelm berief sich auf
den »Eisenhans«, eine Mär, die bereits bei Arnim zu finden sei. Weil aber der
ältere Grimm eifriger als der jüngere die wahre, was für ihn hieß, ursprüngliche
Quelle der Wörter suchte, behauptete er während ihres kurzen Wortwechsels
zwischen den Gelehrtenstuben, der beide in Bewegung hielt, »einen undeutschen«
vor allem daran erkennen zu können, »dasz er der abstufungen unseres e selten
mächtig ist«.
Stille
danach. Nur Jacobs kratzende Stahlfeder. Da die Tür zwischen ihren Stuben,
lange durch ein Bücherregal versperrt, neuerdings immer öfter offenstand,
erlebten sie sich schweigend im Zwiegespräch: ein jeder des anderen Echo. Nur
wenn Wilhelm fettleibige Schwarten aus Jacobs Regalen zog und jener dann Mühe
hatte, Entliehenes in des Bruders Unordnung zu finden, reagierte er
empfindlich.
Ermahnungen
halfen wenig, verhallten wie ins Leere geredet. Dennoch ließ sich ihr Eigentum
weder scheiden noch teilen. Und wenn sie durch die Zwischentür stritten,
geschah das mit eher gedämpftem Eifer, klang aber manchmal doch, bei aller
gesuchten Nähe, wie Ehezwist.
Jedenfalls
stelle ich mir ein erregtes, aber nicht immer vom Ernst ernüchtertes Hin und
Her vor. In meiner Einbildung, die gerne lebhafte Szenen entwirft, bewerfen
sie sich mit Wörtern wie Elle und Ecke, erschrecken einander mit Einsilbern wie
Eis und Ei. Ehrlos folgt ehrlich. Was mit Zitaten der Ewigkeit einverleibt
ist, erhebt oder erheitert sie. Aber den Eid - darin sind beide einig - werden
sie nie wieder leisten.
Wiederum
Stille. Wilhelm, dem das E ohne Einschränkung lobenswert ist, blättert in der
jüngsten Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen, um dann wie aus dem Stegreif von
der klugen Else zu erzählen, einem Märchen, in dem einer Kreuzhacke wegen viel
geweint wird und dem bekanntlich eingangs ein es vorsteht: »Es war ein Mann...«
und das mit »niemand hat sie wieder gesehen« endet.
Jacob
hingegen polemisiert gegen das gedoppelte E in Meer, Heer, Klee und Schnee. Er
möchte nach althochdeutscher Schreibweise ein E streichen, oder wie es bei ihm
heißt, »erübrigen«. Als Exempel nennt er: »bei herzog und herberge klingt die
alte kürze von her statt heer noch an.«
Nun
möchte auch ich, weil eitler Ehrgeiz juckt, an dem Gelehrtenstreit der Brüder
teilhaben und dem Altdeutschen das Wort reden, bin ich doch, wenngleich von
einheimischen Feinden oft als »vaterlandsloser Geselle« beschimpft, dergestalt
in den Sinn und Widersinn der deutschen Sprache vernarrt, daß ich mir mit
Jacob die Frage stelle, weshalb älter und Eltern zwar gleich anlauten und
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