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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grimms Woerter
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nichts darauf hin, daß ihn auf verschneiten Tiergartenwegen, doch
abseits des Eislaufgetümmels rund um die Rousseauinsel das schöne, wenngleich
jeglichem Mißbrauch offene Wort Demokratie zum Stolpern und Nachdenken bringt,
im zweiten Band der Grimmschen Wörtersammlung fehlt, was der Herrschaft des
Volkes als Begriff tauglich werden sollte; bei aller Freiheitsliebe blieb
demokratisches Verhalten den Grimmbrüdern fremd.
    Bereits
auf dem Heimweg und ganz mit sich allein sucht Wilhelm nun bei jenen
Märchenfiguren Zuspruch, die jeweils mit kräftigem D anlauten. Trockener
Schnee fällt. Sein Schritt knirscht. Die Filzkappe, über die Ohren gezogen,
glänzt kleinflockig bestäubt. Vögel suchen Futter. Schon schwindet er im
Gestöber.
    Wenn,
wie uns von Kindheit an erzählt wurde, nach hundert Jahre währendem Schlaf
Dornröschen von einem Prinzen von Mund zu Mund beatmet wird und endlich
wachgeküßt ist, worauf, als habe sich im Verlauf verschlafener Zeit nichts
getan, nun jeder tut, was zuvor schon getan worden war, also der Hofstaat
wiederum große Augen macht, die Pferde sich rütteln, die Jagdhunde wedeln,
Tauben ins Feld flüchten, die Fliegen, soeben noch starr, über Wände und
Tische kriechen, das Küchenfeuer zu flackern, der Braten am Spieß zu brutzeln
beginnt, der Koch dem Küchenjungen sogleich die überfällige Ohrfeige austeilt
und die Magd das Huhn fertig rupft, haben sich die Verhältnisse abseits des Märchens,
datiert ein Säkulum nach der achtundvierziger Revolution, als alle Hoffnung
auf Demokratie entschlafen zu sein schien, so lange verändert, bis alles unter
Trümmern verschüttet lag; und wer zu den Überlebenden zählte, dem war jeglicher
Märchenglaube vergangen.
    Auch
mir, dem siebzehnjährigen Jungen, den Krieg und diktierter Glaube dummgehalten
hatten, mußte das Wort Demokratie mit seinen Verhaltensregeln in Lektionen eingepaukt
werden. So erging es allen, denen eine demokratische Grundordnung, wie es
lehrbuchhaft hieß, per Dekret verordnet wurde. Das taten gestreng die
westlichen Sieger, die sich als von niemand zu bezweifelnde Demokraten gespiegelt
sahen. Hingegen bestanden die östlichen Sieger darauf, daß sich in jenem Teil
des Landes, der ihnen zugefallen war, der entstehende Staat unter dem
vielversprechenden Titel Deutsche Demokratische Republik zu einer
prinzipienstarren Diktatur entwickelte.
    So
lebten die Deutschen als Musterschüler ihrer siegreichen Schirmherren vierzig
Jahre lang gegeneinander.
     
    Jeweils
hielten sie sich für die besseren Demokraten. Seitdem es aber den östlichen
Staat nicht mehr gibt und sich der westliche an dessen Überresten verschluckt
hat, ist das demokratische Gebäude von Schäden befallen, zeigt das Fundament
Risse, bröckelt die Fassade, entfallen ihr schmückende Ornamente, ermüden
Stützpfeiler, kracht es im Dachgebälk. Sogar das Geld, als eigentlich
herrschender Souverän, hat sich davongemacht. Vorzeitig vergreist, ächzt das
Land unter drückender Schuldenlast. Und nur zaghaft dämmert die Einsicht, daß
Demokratie kein gesicherter Besitz ist. Sobald sie schläft oder sich schlafend
stellt, gar darauf hofft, es werde demnächst ein Prinz kommen und sie
wachküssen, ist ihr das Ende schon bereitet.
    Als
aber Dornröschen nach ihrem hundert Jahre währenden Schlaf erwachte, sah sie
die Grimmbrüder in ihren Gelehrtenstuben sitzen, als sei derweil nichts
geschehen. Wie zu aller Zeit bestellten sie weitläufige Wortfelder, die teils
blühten, teils verkrautet waren. Sie redeten vor sich hin. Hatte der eine es
mit den Artikeln der die das, ging der andere von der Demut übers demütigen bis
zu einem Arnimzitat, demnach »jedes demutsvolle wort das ich gesprochen«
verflucht zu sein hatte. Das Stichwort Demokratie jedoch blieb ausgespart.
    Es
wird beide nicht stören, wenn ich als Lückenbüßer ihrer Unterlassung nun
versuche, vom Buchstaben D aufs E zu kommen, also aus dem zweiten in den
dritten Band des Wörterbuchs springe; doch dessen Ertrag haben Jacob und
Wilhelm Grimm als Drucklegung nicht mehr erlebt, was mich nicht hindern darf,
dennoch mit einem Doppelpunkt zu enden:
     
    DER ENGEL, DIE EHE, DAS
ENDE
     
    Als die Erde noch eben
    und im Erlebnispark Eden - ein Event! - er
    erstmals Eva in Eva erkannte,
    weshalb Erzengel eilends
    beide ins irdische Elend entsorgten,
    auf daß sie sich mehrten, vermehrten
    und ihren Erwerb vererbten,
    hingegen Esau, das Söhnchen, einfach so
    für Erbsen, nein, Linsen waren es, Linsen,
    seine

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