Grass, Guenter
ich endgültige Entscheidungen scheue, mich gern gegen mich
eintausche und sobald Zweifel Einspruch erhebt, dritte Wege erprobe.
Jacob
gab nur nach, was das Zusammenschreiben von »fluszundortsnamen« betraf. Beim sz
blieb es, selbst wenn er gegen Schluß seines Briefes einzulenken vorgibt: »da
ich so weich gestimmt bin, können Sie mir sogar noch fs für sz aufnöthigen. ich
denke mehr an die sache als an die gestalt.«
So
nahm die Drucklegung ihren Verlauf. Vierzehn Jahre nachdem die Leipziger
Verleger den aus Göttingen vertriebenen Grimmbrüdern ihren Antrag gemacht
hatten, ein deutsches Wörterbuch zu verfassen, wurde satzfertig geliefert,
gesetzt, hier ergänzend, dort schmälernd korrigiert, schließlich gedruckt, und
zwar nach Jacobs Verlangen in klarer Antiqua, weil ihm die deutsche Fraktur,
fälschlich gotische Schrift genannt, als zu schnörkelig wuchernd mißfiel.
Doch
bevor Korrekturbogen auf Korrekturbogen von Leipzig nach Berlin und in
umgekehrte Richtung auf den Postweg gebracht und so die Drucklegung erster
Lieferungen zum Buchstaben A eingeleitet wird, will ich noch einmal Rückschau
halten und mit dem jämmerlichen Ausklang der deutschen Revolution eine Episode
einblenden, die Jacobs zwiespältiges Verhältnis zu Dänemark beleuchtet.
Noch
vor den Berliner Barrikadenkämpfen und den Aufständen in Baden und Sachsen,
die nach preußischer Machart niederkartätscht wurden, brach um Schleswig, das
die Dänen auf immer und ewig einsacken wollten, Krieg aus. Nach militärischen
Erfolgen konnte eine provisorische Regierung für Schleswig-Holstein eingesetzt
werden. Dann aber gab Preußens König dem Druck der Großmächte England und
Rußland nach, weshalb sich Jacob Grimm, der zu dieser Zeit noch als
fraktionsloser Abgeordneter in der Paulskirchenversammlung saß und dort gegen
die dänischen Ansprüche gestimmt hatte, in einem Brief an seinen Bruder
empörte, weil es in Malmö zum Waffenstillstand mit den Dänen gekommen war.
Vielleicht
sollte ergänzend bemerkt werden, daß er, wenngleich ihm wie Wilhelm die
skandinavischen Sagen als hochwertig galten, mit etlichen dänischen Gelehrten
überkreuz war, weil er die dänische Sprache als nicht eigenständig, eher als
deutschen Dialekt eingeschätzt hatte, und fürs zweite Germanistentreffen war
ihm, um dem nahen Dänemark ein trotziges Zeichen zu setzen, die Hansestadt
Lübeck geeignet gewesen. Jedenfalls galt Malmö aus seiner Sicht als ein das
Vaterland entehrender Handel, der dazu beitrug, daß er Frankfurt verließ.
Gerade zur rechten Zeit, denn als im folgenden Jahr die Nationalversammlung
nach nicht endenwollenden Debatten die Reichsverfassung annahm, nach deren
Wortlaut der Deutsche Bund sich einem Erbkaisertum unter preußischer Führung
ergeben zeigen sollte, lehnte der vierte Friedrich Wilhelm diese Einladung ab.
Er,
an dem alle Hoffnung klebte, enttäuschte zum wiederholten Mal. Er, von dem man
immer noch werweißwasalles erwartete, wollte nicht deutscher Kaiser werden,
sondern einzig gekröntes Oberhaupt Preußens bleiben: erlaucht und erhaben. Ihm
war schwarzweiß farbiger als schwarzrotgold.
Bald
danach verlief sich die Nationalversammlung. Alles blieb reaktionär wie gehabt.
In Sachsen setzte sich nach dem Dresdner Maiaufstand und letztem Aufflackern
der Revolution die alte Ordnung durch. Die Bürger wurden entmachtet, gegen
die Presse strenge Verordnungen erlassen und das Versammlungsrecht
eingeschränkt.
Nur
die Eisenbahn entwickelte sich, was als Fortschritt zu gelten hatte. Auf neuen
Strecken, auch Schienenwege genannt, zogen Lokomotiven, von Borsig gebaut,
Personen- und Güterwagen. Eiliger Briefverkehr war die Folge. Und doch konnte
die fahrplanmäßige Beschleunigung den allgemeinen Stillstand nicht aufheben.
Deshalb ist anzunehmen, daß der Rückgriff auf vorrevolutionäre Zwänge den
Verleger Karl Reimer bestimmt haben mag, sich von Salomon Hirzel zu trennen,
Leipzig zu verlassen und mit eigenem Verlag nach Berlin zu ziehen, wenngleich
dort die Freiheit des Wortes ähnlich eng bemessen wurde.
Vermutlich
gab es noch weitere Gründe, die das bis dahin so einmütige Verlegerpaar
entzweiten, vielleicht familiäre? Immerhin war Hirzel mit Reimers Schwester
verheiratet. Aber der Briefwechsel mit den Verlegern gibt nichts her, dem ein
Zerwürfnis abzulesen wäre.
Und
die Arbeit am Wörterbuch litt ohnehin nicht unter der Trennung. Hirzel erwies
sich als eigenständig genug, den begonnenen Druck erster
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