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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grimms Woerter
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Kemal die Rede: »Gerne folgte ich Ihrem Wunsch und
ließ mich anstiften, vom Mittelmeer aus die flachen Lehmäcker der Küste, dann
die von Brombeergestrüpp, Wildreben und Schilf bedeckte Cukurova, weiter
landeinwärts Sümpfe, abermals fettes Ackerland, myrtenduftende Hügel,
Hochebenen, deren eine Dikenlidüzü heißt und fünf Dörfer zählt, zu überfliegen,
nun schon mit Blick auf das Taurusgebirge und seine Schneegipfel.«
    Über
diese Landschaft breitete ich Kemals literarisches Werk. Er gehört zu jenen
Schriftstellern, denen der durch Geburt ihnen zugefallene Flecken Erde Welt
genug ist. Ich nannte Faulkner, Aitmatow und Joyce, in deren Büchern
gleichfalls alles Geschehen um den Ort früher Verletzungen kreist. Mich nahm
ich nicht aus: »Dieses Nichtloskommen von längst verlorenen Provinzen. Denn
jede Satzperiode, die ich zu Papier brachte, wurzelte - sie mochte am Ende
sonstwo hinführen - zwischen der Weichselniederung und den Hügeln der
Kaschubei, in der Stadt Danzig und deren Vorort Langfuhr, an den Stränden der
Ostsee. Dort liegen meine amerikanischen Südstaaten, dort habe ich mein Dublin
verloren und weitet sich meine kirgisische Steppe, und dort liegt meine
Cukurova.«
    Anschließend
ging es weitläufig um Kemals Roman »Memed mein Falke« und um weitere Romane wie
»Zorn des Meeres«, dessen Handlung in Istanbul, am ölverpesteten Bosporus
spielt und durch die Großstadt bis in deren schattigste Winkel führt.
    Jetzt
erst stellte ich dem in der Paulskirche versammelten Publikum Kemal als einen
Schriftsteller »jenseits der hierzulande üblichen und von Saison zu Saison
auflebenden Beschwörung des Elfenbeinturms« vor. »Deshalb wird er belangt.
Deshalb ein Leben lang in Opposition. Schon früh lernt er, verurteilt als
marxistischer Sozialist, türkische Gefängnisse kennen. Später nennt er sie die
Schule der türkischen Literatur.«
    Und
gegen Schluß meiner Rede zitierte ich aus einem Artikel Kemals, in dem er die
Verfolgung der Kurden in seinem Land beklagt und zugleich die westlichen Demokratien
an ihre Mitverantwortung erinnert: »An der Schwelle zum einundzwanzigsten
Jahrhundert kann man keinem Volk, keiner ethnischen Volksgruppe die
Menschenrechte verwehren. Dazu fehlt jedem Staat die Macht. Schließlich war es
die Kraft der Menschen, welche die Amerikaner aus Vietnam, die Sowjets aus
Afghanistan verjagte und das Wunder von Südafrika vollbrachte. Die Türkische
Republik darf durch die Fortsetzung dieses Kriegs (gegen die Kurden) nicht als
ein fluchbeladenes Land ins einundzwanzigste Jahrhundert eintreten. Das
Gewissen der Menschheit wird den Völkern der Türkei helfen, diesen unmenschlichen
Krieg zu beenden. Besonders die Völker der Länder, die dem türkischen Staat
Waffen verkaufen, müssen dazu beitragen...«
    Das
war an die deutsche Adresse gerichtet. Deshalb schloß ich mit einem Appell an
das Publikum, zu dem in den vorderen Sitzreihen der Frankfurter Geldadel und -
nicht zu übersehen - prominente Politiker zählten: »Wer immer hier, versammelt
in der Paulskirche, die Interessen der Regierung Kohl/Kinkel vertritt, weiß,
daß die Bundesrepublik Deutschland seit Jahren Waffenlieferungen an die gegen
ihr eigenes Volk einen Vernichtungskrieg führende Türkische Republik duldet.
Nach 1990, als uns die Gunst der Stunde die Möglichkeiten einer deutschen
Einigung eröffnete, sind sogar Panzer und gepanzerte Fahrzeuge aus den Beständen
der ehemaligen Volksarmee der DDR in dieses kriegführende Land geliefert
worden. Wir wurden und sind Mittäter. Wir duldeten ein so schnelles wie
schmutziges Geschäft. Ich schäme mich meines zum bloßen Wirtschaftsstandort
verkommenen Landes, dessen Regierung todbringenden Handel zuläßt und zudem
verfolgten Kurden das Recht auf Asyl verweigert.«
    Der
Beifall in den hinteren zwei Dritteln des Saales täuschte darüber hinweg, daß
ich gegen Ende meiner Rede sozusagen ins Schwarze getroffen hatte. Vereiste
Gesichter. Besonders vorne, wo man in Nadelstreifentuch gezwängt und mit fetten
Klunkern behängt Elite repräsentierte, gab man sich empört, weil die
literarische Feierstunde durch den profanen Hinweis auf einen profitablen
Teilbereich im deutschen Exportgeschäft entweiht worden war. Man wollte
weiterhin gerne vorneweg sein im Waffenhandel.
    Bis
in den Vorstand des Börsenvereins blieb spürbar, wie weit ich mich vom Ton
sonstiger Paulskirchenreden entfernt und allzu deutlich das Regelwerk
eingeübter Unverbindlichkeit verletzt

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