Grass, Guenter
sich selbst zu einigen, führte im Wörterbuch das vom lateinischen
unitas hergeleitete Wort mit der Erklärung ein, es sei »ein erst seit dem
vorigen Jahrhundert in schwang gekommner, früher noch nicht hergebrachter
ausdruck«.
Selbst
Luther, der ihm mit Zitaten behilflich wird, kennt weder Einheit noch Dreieinheit,
sondern spricht von »einigkeit und dreieinigkeit«. Erst mit einem Zitat nach
historischen Schriften seines Göttinger Leidensgenossen Dahlmann, demnach der
Jacobinerclub während der Französischen Revolution bei »versamlungen
einheitliche haltung« zu erkennen gibt, kommt er auf Wörter wie einhellig,
einstimmig, um beim mehrdeutigen einig mit langer Einleitung weit auszuholen
und mit Simon Dach, »es ist einig gott bekannt«, dieses Wörtchen zu festigen.
Worauf
er spaltenlang dem Zahlwort eins die Ehre erweist. Er feiert die Einzahl, lobt
die Einfalt, nennt das eins, zwei, drei Zauberei, erlaubt dem Einhorn aus dem
Märchenwald Einzug ins Wörterbuch. Man ist mit sich eins, geht eins trinken,
pfeift sich eins. Poeme feiern die Einsamkeit. Nach Sirach ist »wol dem der ein
tugendsam weib hat. des lebet er noch eins so lange.« Und Fleming schreibt
inmitten des Dreißigjährigen Krieges: »das zeichen ist nicht gut, in dem ich
bin geboren, weil volk und reich und ich auf eins zu trümmern gehn.«
Hingegen
kommen Wörter, die nach dem Jahr des Mauerfalls billig zu haben waren, wie
Einheitswille, Einheitswunsch, Einheitsbegehren, Einheitsgebot bei ihm nicht
vor, so sehr er und die Paulskirchenmänner die Einigkeit der Deutschen
herbeigewünscht haben mögen.
Also
läßt er ab von der Einheit, dem Zahlwort eins und dem einzigen Gott. Wörter wie
Eiter und Ekel fallen ihn an. Die Enge will erweitert, die Ernte muß
eingebracht, die Ehre dem Geiz einverleibt, das Essen bereitet werden. Elend
ist vorerst zu übersehen, doch nicht die Elle, die Ecke, das Erbe. Von empor
kommt er auf empört. Emsig nähert er sich dem Ende, verweilt aber vorerst bei
angelus, auf daß uns der gotische aggilus, althochdeutsch angil, als Engel retten
möge.
Es
gibt viele.
Jeder,
so steht es bei Rilke, ist schrecklich.
Der
gute, behütende,
der
entsetzlich böse,
in
Mehrzahl die singend verkündenden,
engelhaft
lieblichen,
die
mit chen oder lein enden
und
sich in Dresden auf Raffaels Bild flegeln.
Klees
Engel, Barlachs schwebender,
Benjamins,
der die Geschichte verrätselt.
Wen
meinte Wieland, als er eine Engelserscheinung beschwor?
In
welchen der Engel wollte sich Fischart ergießen,
als
er im Paradies weilend ein »gnadenfeuchtes engelsschößlin« befingerte?
Schlußendlich
sind Teufel gleich Engeln und Engel dem Teufel gleich.
Doch
der schlesische Angelus setzte
jedwedes
entfernte Ende ins gegenwärtige Jetzt:
»der
jüngste tag ist itzt und nicht danach vorhanden!«
Und
in der einst real existierenden DDR
waren
auf Weihnachtsmärkten Engel begehrt,
die,
weil im Erzgebirge geschnitzt, gut waren für den Export,
daheim aber Jahresendfiguren zu heißen hatten,
denn in Marxengels' Schriften
tritt kein einziger Engel in Erscheinung.
Ein
geklittertes, mittlerweile vergessenes Wort, Jahresendfiguren, dessen dritte
Silbe in Grimms Wörterbuch - kurz vor eng, Enge, dem Engel - zweiundzwanzig
Spalten besetzt hält, denn dem Ende hängt ein ständig nachwachsender Schwanz
an, der mit erster Endabsicht und dem harmlosen Endchen, der Endlichkeit, von
der Klopstock im »Messias« sogar im Plural spricht - »das staunen der
endlichkeiten« -, schließlich mit dem Endziel, dem Endzweck und - nach Zitat
von Bürger - erfreut mit dem »endlichen zweck« wedelt.
Doch
so ursprungsüchtig Jacob vom gotischen andeis auf endloser Wortstrecke dem Ende
nachgeht, beiseite gesprochen von »allen orten und enden der Christenheit«
weiß, im Parzival »gar schiere ein ende nam der tanz« findet und aus Rückerts
Reimen zitiert, »klein ist anfang aller enden, doch mit groszem musz es enden«,
so endversessen sind mir heutige Endzeitbeschwörungen geläufig: von den
endlosen Klagen der Konsumenten als Endverbraucher und dem drohenden Ende des
Wachstums bis zur Endlagerung des Atommülls. Auch sollte die entsetzlichste
aller dem Ende zugedachten Bestimmungen der wörtlichen Reihe eingefügt werden:
kurz vorm Endreim findet sich Platz für die Endlösung; sie bleibt uns
eingeschrieben.
Ferner
fehlt die in Science-Fiction-Filmen so bildlich nahegebrachte Endzeit und mit
ihr die stets erneuerbare Endzeitstimmung. Von ihr
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