Grass, Guenter
konnte inmitten des
neunzehnten Jahrhunderts, so bedrückend die politische Lage war, keine Rede
sein. Vielmehr oder endlich brachte der Verleger Hirzel, als hätte der
Eisenbahnverkehr nun auch die Grimmbrüder beschleunigt, den ersten Band des
Wörterbuchs auf den Markt.
Welch
ein Ereignis! Auf der Leipziger Messe war alles zum Buchstaben A zu haben, was
vorher nur in Einzellieferungen käuflich gewesen war. Die Kritik reagierte hymnisch.
Nur von katholischer Seite wurde Ablehnung laut. Zum einen hieß es, zu
ausschließlich finde man evangelische Autoren zitiert, zum anderen gab die
Behandlung des Wortes »ablasz« etlichen Würdenträgern der allein seligmachenden
Kirche Anlaß, den gesamten Aufwand mit dem Buchstaben A in Frage zu stellen.
Scheinbar
unverfänglich äußert sich Jacob einleitend zu diesem Anstoß erregenden
Stichwort, indem er beispielhaft den »ablasz des wassers im teich« nennt, dann
jedoch ist zu lesen: »hauptsächlich aber steht es für den kirchlichen erlasz
der sünde ums geld, wider welchen die reformation siegreich eiferte.«
Und
nach den üblichen Worterklärungen jener Art, die im ursprünglichen Lautgeröll
stochern, kommt er mit einem Lutherzitat auf den Anlaß der protestantischen
Empörung und also in alphabetischer Folge auf den ablaszbrief, das ablaszjahr
und den ablaszkram, den er einschlägig belegt: »haben sie den unüberwindlichen
schaden dran, dasz ir ablaszkram da ligt im kot«.
Kein
Wunder, wenn sich etliche Pfaffen entrüsteten und mit Kanzelreden bereit waren,
Feuer an Scheiterhaufen zu legen; es war, als hätte der Prediger Abraham a
Sancta Clara eifernd das Wort gegen Türken und Ketzer ergriffen. Aber die
Grimmbrüder blieben unbekümmert. Mochte die jähe Kritik den geräumig
gewünschten Käuferkreis in katholischen Gegenden einengen, dennoch erschien
Lieferung nach Lieferung und korrigierte Jacob Druckbogen nach Druckbogen, so
daß er kaum Zeit fand, weiterhin dem Buchstaben E hinterdreinzubleiben, zumal
sein Bruder Wilhelm neben den Wörterfindungen zum D anderes im Sinn hatte.
Wieder
einmal zeitabwärts enteilt, korrigierte er an seinem Buch »Zur Geschichte des
Reims«, das auf einer Vorlesung aus dem Jahr fünfzig beruhte. Darin werden
recht kritisch die im dreizehnten Jahrhundert allzu gehäuften Reime auf »lieh«
wie »wünneclich, minneclich« behandelt. Aber seinen Konrad von Würzburg lobt er
eines sechsfachen Reims wegen, in dem sne zu kle steht. Eine Fleißarbeit, in der
die Sinnsuche eines Liebhabers der Reimkunst im Gestrüpp der Zitate
verlorenzugehen droht.
Indessen
nimmt Jacob, was mir einleuchtet, von seinem Bruder und dem gewiß nicht
geräuscharmen Familienbetrieb in der Linkstraße Abstand. Den nicht allzu entfernt
liegenden Tiergarten sucht er auf, um auf dessen Wegen das Stichwort Ehe und
nebenbei Wilhelms viele Jahre zurückliegende Eheschließung zu bedenken.
Vom
erstaunten Ausruf eh!, den er, weil aus dem Französischen zugeführt, als
Abschwächung des Rufes ah! wertet, nähert er sich über ehbevor, gleich ehmals,
und dem aus vielen Zitaten sprechenden ehe - »ehe wir nun weiter schreiten« -
der Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum, wie er später mit
einem Kantzitat feststellen wird, »lebenswierigen besitz ihrer
geschlechtseigenschaften«.
Dann
kommt ihm angesichts einer Buche, deren zwei glatthäutige Stämme aus einer
Wurzel treiben, ein gewisser Schlegel - es ist aber weder Friedrich noch August
Wilhelm - in den Sinn, der aus Einsicht in eheliche Verhältnisse auf den
Ehefrieden und das Ehejoch hinweist: »albern ist menschenhasz, zweideutig
bleibet die reue, aber der kinder gequäk flickt die gebrochne eh.« Dabei ist
des Bruders Ehebündnis mit seiner Dorothea nicht von dererlei Zerreißproben
gezeichnet, jedenfalls meldet der Briefwechsel der Brüder keinerlei Ehekrach
oder gar -bruch.
Lange
vor der Zeit in Göttingen, noch in Kassel wurde die Heirat beschlossen. Nach
dem Tod der Mutter mußten die jüngeren Brüder Ludwig Emil, Ferdinand, Karl, die,
insbesondere Ferdinand, von unsteter Lebensart waren, von Jacob und Wilhelm
versorgt werden. Um den Haushalt kümmerte sich die Schwester Lotte. Das tat sie
mehr recht als schlecht. Dann heiratete sie einen Hassenpflug, der später, als
»Hessenfluch« verspottet, Minister wurde und, weil reaktionär, in Kurhessen
verhaßt war.
Wer
sollte nun für den Haushalt sorgen, in dem es, solange die Besoldung der
älteren Brüder als Bibliothekare mager
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