Grass, Guenter
ausfiel, in der Regel knapp zuging?
Lotte, die bis dahin gekocht, den Eßtisch gedeckt, allen Brüdern reinliche
Hemden geplättet, die Strümpfe gestopft und den Kachelofen geheizt hatte,
wird, als sie den unleidlichen Hassenpflug ehelichte, zur Anstellung einer
Haushälterin geraten haben. Aber Jacob und Wilhelm kamen überein: Einer von uns
muß sich als ehewillig beweisen. Wer ist geneigter, geeigneter?
Dieser
grundsätzlichen Frage, doch auch allgemein dem Stichwort Ehe geht Jacob nun auf
Tiergartenwegen nach. Vor dem marmornen Standbild einer Göttin, die jedoch
anders als die Venus am Goldfischteich sittenstreng gekleidet ist, bleibt er
stehen und mag sich Fragen stellen: Wer von uns war damals bereit, die bis
dahin bewiesene Ehescheu zu überwinden? Wessen Egoismus war zu überreden? Wer
verweigerte sich, wer zeigte sich gewillt?
Bald
war man einhelliger Meinung: Wilhelm ist ehetauglicher, weil geselliger,
nachweislich kinderlieb, verträglich, sobald es streitbar um Kleinigkeiten
geht, und zudem fähig, nicht nur mit Worten zärtlich zu sein.
Oder,
fragt sich Jacob, der nun unschlüssig auf einer Wegkreuzung zaudert, hätten wir
Brüder dem Zufall vertrauen, Würfel oder Münzen werfen, einer von uns mit der
Spielkarte Herzdame das Ehelos ziehen sollen?
Dabei
stand von Anbeginn fest: wenn überhaupt einer, dann hatte Wilhelm das Zeug zum
Ehegemahl. Er, der Erwählte, willigte ein.
Im
Rückblick auf die Brautschau sieht Jacob die in der Kasseler Nachbarschaft
wohnende und ihnen seit Jahren freundlich gesonnene, zudem ehrbare
Apothekerstochter Dorothea Wild, von Anfang an Dortchen geheißen. Ihr traute
er zu, mit dem Bruder stillschweigend auch ihn zu ehelichen. Denn wer den einen
Grimm nahm, bekam den anderen mit, zwar nicht ins Ehebett gelegt, doch eingeschnürt
in den Ehebund. Solch Dreierverhältnis mußte nicht auf Papier festgeschrieben
und besiegelt werden. Es bedurfte keines zusätzlichen Eherings, ergab sich aus
stummem Einverständnis und sollte wie selbstverständlich gelebt werden.
Alles
was im üblichen Sprachgebrauch als Ehehälfte, als Ehepaar in Erscheinung trat
und sich beim Ehestreit auch hälftig benahm, mußte fortan dreiteilig
Bestätigung finden: ohne Jacob konnte und wollte Wilhelm nicht zum Ehegespons
werden. Und Dortchen nahm klaglos, womöglich fein lächelnd den älteren
Grimmbruder wie ein Geschenk, das anzunehmen offenbar leicht fiel. So oder
ähnlich wird es gewesen sein: ernsthaft erwogen und einvernehmlich geregelt.
Jacob
sehe ich nun auf dem Heimweg. Viele dem E ergebene Wörter haben ihn
bereichert. Weder kehrt er am Platz an den Zelten noch in einem der vielen
städtischen Cafehäuser, etwa im »Stehely«, ein. Es zieht ihn geradewegs
heimwärts.
Also
traten sie im Jahr 1825 zu dritt in den Ehestand. Und da es erklärter Wille der
Braut war, dem Brüderpaar seinen altgewohnten Alltag zu bewahren, mehr noch,
ihre jeweilige Eigenbrötlerei zu schützen, lebten sie im Verlauf eilends oder
schleppend vergehender Zeit ihr gedritteltes, deshalb nur matt glänzendes
Eheglück in einträchtiger Dreisamkeit. Als die Kinder eins nach dem anderen
kamen - das erste starb bald nach der Geburt -, war zwar Wilhelm eindeutig der
Vater, doch blieben Kindsgeschrei und Windelgeruch Jacob nicht erspart; er
fügte sich und wußte auf kindliche Fragen oft geduldiger Antwort zu geben als
sein Bruder. Schon bald riefen Herman und Rudolf ihn Apapa, wie man aus Briefen
weiß.
Und
dergestalt harmonisch in ein erweitertes Eheverständnis eingebunden, zogen die
beiden, als sie berufen wurden, nach Göttingen. Dort sorgte Dortchen dafür, daß
die Brüder mit fleckfreiem Professorentalar in Erscheinung traten. Zu dritt
erlebte man sie bei gesellschaftlichen Empfängen. Gemeinsam ertrugen sie nach
der Protestation der Sieben die Entlassung von der Universität und Jacobs Ausweisung
in die als Exil empfundene Heimat. Doch wird das Jahr der Trennung besonders
den Söhnen, aber auch der kleinen Auguste schmerzlich gewesen sein. Als dann in
Kassel ihr Dreierbund wieder auflebte, waren alle Teilhaber der Ehe
glücklicher, als es die beengten Wohnverhältnisse erlaubten.
Erst
die Berufung nach Berlin, als abermals ein Umzug fällig wurde, bot der Familie
mit zwei Gelehrtenstuben, den Kammern für die heranwachsenden Kinder, dem eher
bescheidenen Salon und sonstigen Schlaf- und Wirtschaftsräumen genügend
Auslauf. Ob in der Lenne-, dann Dorotheen-, schließlich Linkstraße, immer war
Dortchen den
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