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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grimms Woerter
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Brüdern zu Diensten. Krank wurde sie nur, wenn Wilhelm nicht
schwermütig durchhing; ein Verhalten, das mit dem Alter zunahm und nicht nur
ihn, sondern zeitweilig den Haushalt insgesamt eintrübte.
    Sonst
aber ging es in allem gemäßigt und einträchtig zu. Weder Eifersucht noch
sonstige »Szenen einer Ehe« fanden Einlaß. Als in den fünfziger Jahren unter
dem Titel »Einer muß heiraten« ein Theaterstück aus der Feder eines längst
vergessenen Autors das Zweckbündnis der unzertrennlichen Brüder als Posse zur
Schau stellte, handelte es eher von der anfänglichen Ehescheu der beiden als
vom ereignisarmen und deshalb kaum theatertauglichen Eheeinerlei der Grimms.
    Ich
heiratete zweimal. Zwischen dem Ende der ersten und dem Beginn der zweiten Ehe
erregten mich leidenschaftliche Entscheidungen, die Wirrnis durch übereilten
Ortswechsel, endlosen Streit und wiederum Trennung zur Folge hatten.
»Familiären Kuddelmuddel« nannte ich das. Doch eigentlich oder besser, aus
Neigung, zu zweit dennoch mein Eigenleben zu führen, bin ich ein mittlerweile
erprobter Ehemensch, der sich die mehr als dreißig Jahre Nähe zu Ute als Erfolg
gutschreiben möchte, zumal nichts das Bedürfnis nach Einsamkeit, mein inständiges
Wörtergebrabbel als Eigengeräusch einschränkte.
    Also
sehe ich mich als Vor- und Nachteile wägender Fürsprecher der Ehe, wie bereits
Johannes Fischart in seiner wortüberschwemmten Eindeutschung des Gargantua »beider
ehgemächt« lobt. Und als in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts mein
Freund Walter Höllerer, der wie die Grimmbrüder nach heutigem Sprachgebrauch
echt ehescheu war, sich dennoch entschloß, eine von vielen möglichen Bräuten
zu erwählen und seine Renate zu heiraten, baten mich beide, ihnen und ihren
Gästen das Hochzeitsessen zu bereiten.
    So
einmütig als Koch eingeladen, dünstete ich ein Dutzend und mehr Rebhühner auf
Weinkraut, ließ in Schüsseln Schweinekopfsülze erkalten, reichte dazu Erbspüree
und eine Fischsuppe, die, mit Estragon gewürzt, das Festessen einleiten sollte.
Dem Paar nötigte ich als Gegengabe das Versprechen ab, im Fall einer Scheidung
dieselben Gäste und mich als Koch zur Abfeier ihrer gescheiterten Ehe einzuladen.
Wie nach der Eheschließung sollten Fischsuppe, Rebhühner, erkaltete
Schweinekopfsülze und das Erbspüree der Ehe ein schmackhaftes Ende bereiten.
    Dazu
kam es nicht. Die Ehe hielt, bis Walters Tod sie zu scheiden beschloß.
Vielleicht zeigte die bloße Androhung eines wiederholten Festessens Wirkung. Oder
Renate ist, wie Dortchen aus Sicht der Brüder Grimm, die einzig richtige
gewesen.
     
    Kaum
wage ich mir vorzustellen, Wilhelm hätte ein Trauerjahr nach Achim von Arnims
Tod entgegen dem Rat des Bruders Bettine geheiratet und wäre, nur weil er seit
jungen Jahren der etwa Gleichaltrigen mehr schwärmerisch als leidenschaftlich
zugetan war, auf Achims verschuldete Güter Wiepersdorf oder Bärwalde gezogen.
Oder er hätte seinen Wohnsitz nach eingelöstem Eheversprechen mit der Witwe und
ihrer Kinderschar nach Berlin verlegt, womöglich mit dem empfindsamen Jacob, so
daß Bettines elfisches Wesen und ihre chaotische Haushaltsführung als Unruhe
bis in die Gelehrtenstuben der Brüder spürbar geworden wäre. Fortan hätten sie
und die Arbeit am Wörterbuch die exzentrischen Launen und die ins Extrem
strebenden Einfälle der unbändigen Ehegattin ertragen müssen. Womöglich wäre
es im Jahr 1854 nicht zur gebundenen Ausgabe des ersten Bandes von A bis
Biermolke gekommen. Hingegen drohte mit Dorothea Wild im Bunde dem Fortgang der
Wörtersuche kein Erlahmen.
     
    So
verging Zeit. Bedrängt von den Briefen des Verlegers Hirzel, klagte Wilhelm,
der mit dem Buchstaben D nicht vorankam, über das Elend der Arbeit, worauf
Jacob dieses Stichwort sogleich mit einer längeren Einführung dem E zueignete.
Er meinte, das Elend - althochdeutsch Ellende - weise einzig auf das Leben im
Exil hin: »die Urbedeutung dieses schönen, vom heimweh eingegebnen wortes ist
das wohnen im ausländ, in der fremde.«
    Dazu
waren ihm Belegzettel voller Zitate nach Luther, Hutten, Lessing zur Hand, wohl
auch Erinnerungen an die Zeitspanne ihres erzwungenen Aufenthalts in der
hessischen Heimat, die sie gleichwohl als Fremde empfinden mußten. Hieß es
doch: jemanden treibt es ins Elend, er wird ins Elend gestoßen. Oder wie es bei
Gryphius steht: »den hat der feinde grimm ins elend hin verjagt.« Und Luther
spricht von »dem fremden, der da ellendet bei dir«.

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