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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grimms Woerter
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Stichwort, als im
ersten Band des Wörterbuchs das A behandelt wurde, bereits abgeschöpft worden.
Von alt und dem Alt, der Mittelstimme in der Musik, geht es über das
Altentheil, das mit einem Platen-Zitat belegte »altersschwach« und die nach
Goethe »alterthümelnde, christelnde kunst« zu den altklugen Kindern. Vom
Altweibergewäsch und altehrwürdigen Göttern, auf die sich wiederum Goethe
beruft, steht zu lesen.
    So
reichlich mit Wörtern gerüstet und des eigenen Alters bewußt, schrieb Jacob
seine Rede. Sie wurde, wie alle Reden zuvor, etwa die auf Lachmann, jene auf
Wilhelm und die tiefschürfende »Über den Ursprung der Sprache«, in der er von
einem Vortrag ausging, den einst Johann Gottfried Herder, Wege und Irrwege
weisend, zum gleichen Thema verfaßt hatte, vor überwiegend alten Männern
gehalten, die seinen Schwanengesang hörten, als sei er ihnen gewidmet. Kein
Wunder, wenn sich aus längst abgelebter Zeit weitere Zuhörer einfanden, so der
eben erwähnte Herder.
    Als
Urgroßvater aller Wortgrübler und Hüter verschollen geglaubter Papierschätze
sitzt er in der vordersten Stuhlreihe. Weiter hinten, wo ich mich zwischen
zwei zittrige Herren dränge, ohne Anstoß zu erregen, glaube ich leibhaftig
Gottfried Wilhelm Leibniz zu erkennen, der zu den Gründern der Akademie gehörte
und schon früh ein grundschürfendes Wörterbuch angemahnt hatte.
    Und
wenn mich mein Hang zur Übertreibung nicht täuscht, sehe ich den Prediger
Schleiermacher zwischen zwei Philosophen sitzen, deren Wahl in die Akademie er
einst verhindert hatte: Fichte und Hegel rahmen ihn ein; dem zuletzt genannten
haften noch immer, so scheint mir, die Spuren der Cholera an.
    Zu
anderen, die einst namhaft waren und jetzt dem Vergessen entkommen möchten,
fehlt mir der Name. Aber der da könnte Adelung sein. Und dort sitzt mit
barocker Perücke Schottel, der sich Schottelius nannte. Beide Wörterbuchmacher,
von denen Jacob nicht allzuviel hält, sind begierig zu hören, was ihr
Nachfolger zu bieten hat. Leider gelingt es mir nicht, zwei aus katholischer
Sicht namhafte Ketzer, die als Zitatlieferanten dem Wörterbuch verbunden sind,
nämlich den arianischen Bischof Ulfilas, der als Westgote vermutlich eine
griechische Mutter hatte, und den abtrünnigen Mönch Luther zu Zuhörern einer
Rede zu machen, die, weil sie vom Alter und dessen Stufen handelt, in die
Schulbücher gehört.
    Schon
beginne ich Notizen zu kritzeln: Kurzsätze, die raffen, was umschweifig laut
wird. Denn was der mittlerweile sechsundsiebzigjährige Greis vom Katheder weg
mit zwar immer noch heller, doch im Verlauf längerer Sätze brüchig werdender
Stimme vorträgt, gilt mir, meint mich, trifft zu, stellt in Frage und lehrt,
meine nunmehr ab achtzig zählenden Jahre als möglichen Zugewinn zu nutzen:
letzte Ernte steht auf dem Halm.
    Also
ist für mich, den Hinterbänkler, bestimmt, was Jacob, der vorne den Pultdeckel
kaum überragt, dem Psalm nachspricht: »unser leben währt siebenzig jähre, wenn
es hoch kommt so sinds achzig jähr, und wenns köstlich gewesen ist, so ists
mühe und arbeit gewesen.«
    Oder
wie er gleich darauf nach althergebrachter Berechnung das Menschenalter mißt:
»ein zäun währt drei jähre, ein hund erreicht drei zaunes alter, ein ros drei
hundes alter, ein mann drei rosses alter«, was unterm Strich zur Summe
gerechnet, meinen bis heute gezählten Jahren entspricht, wenngleich ich, wenn
mein nicht ergrauen wollendes Haar in Vergleich kommt, kaum mit den schlohweiß
schultertief fallenden Locken des stehend vortragenden Redners mithalten kann.
    Doch
wie ihn vereinzelt mich, sobald ich von Gesellschaft umgeben bin, zunehmende
Schwerhörigkeit. Vergleichsweise ebenbürtig ertauben wir. So bleibt uns
manches Gerede erspart. Wie von einer Käseglocke behütet, hören wir nur noch
auf uns, tun aber dennoch so, als seien wir auf dem laufenden und geben
richtige Antwort auf falsch gestellte Fragen. Wir genießen die uns zuwachsende
Stille, sind Selbstunterhalter, ahnen jedoch, was beiläufig tickt und tickt.
Auch stimme ich Jacob Grimm zu, sobald er nach diesem und jenem Abschweif, in
dem das Stichwort Qual nach einem tiefschürfenden Artikel verlangt, vom A aufs
Z kommt, indem ihm »alter gleichviel mit zeit bedeutet«, weshalb wir die
Abschnitte der Zeit Zeitalter nennen.
     
    Sein
Zeitalter, mein Zeitalter. Seines begann mit der Französischen Revolution,
ging in Kriege und die Herrschaft Napoleons über, die seine Heimat Hessen im
kurzlebigen

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