Grass, Guenter
bringt, nur störendes Geunke? Und was soll
die Gewißheit widerlegen, daß uns, die wir als einzige Gattung fähig zur
Selbstvernichtung sind, die Ratten überleben werden? Aber vielleicht stirbt
der sich deutsch nennende Teil des Menschengeschlechts, wie mir bereits vor
Jahrzehnten in dem Büchlein »Kopfgeburten« schwante, schon vorher aus. Und ist
es nicht so, daß Alfred Döblins, meines Lehrers Vision der Enteisung Grönlands
in »Berge, Meere und Giganten« vom Klimawandel bestätigt wird?
Jetzt
- und ich höre ihn inmitten der greisen Akademiemitglieder und Gasthörer aus
entlegenen Zeiten - spricht er über das gehässigste Laster des Alters, den
Geiz. Nein, er spricht nicht, vielmehr wird Jacob, wozu Schwerhörige neigen,
laut, zu laut, so daß einige der ihm nahesitzenden Zuhörer, so der nachweislich
unsterbliche Herder, aber auch der entfernter anwesende Leibniz, dergestalt
erschrecken, daß aus ihren Perücken Staub aufwölkt.
Lautstark
zitiert er Cato und stellt danach fest: »in allen lustspielen sind die geizigen
immer greise.« Er verdonnert regelrecht Leute, »die kostbare ringe an ihrem
finger behalten wollen und gold, ja papiergeld in den sarg bergen, sei es um
diese habe mitzunehmen oder wenigstens sie verhaszten erben zu entziehen«.
Nun,
davon wäre ich frei. Würde mir allenfalls eine meiner Pfeifen, mäßigen Vorrat
Tabak und Zündhölzer als Wegzehrung in die Kiste legen lassen. Und zum Blei-
oder Filzstift einigen Papiervorrat. Es könnte ja sein, daß sich die Strecke
ins Nichts allzu lang hinzieht.
Doch
auf angemessene Entlohnung aller durch Arbeit entstandenen Produkte, seien es
Bücher oder Zeichnungen und Skulpturen, war ich ähnlich wie Wilhelm Grimm
bedacht, der in Geldsachen seinen Bruder vertrat und - was man dem
Märchensammler kaum zutrauen wollte - zäh um Prozente und urheberrechtliche
Ansprüche handelte. Er hat die Kinder- und Hausmärchen gegen Raubdruck
verteidigt.
Mir
jedoch gefiel es, aus überschüssigem Geld, allein schon, um im Erbfall die
Vielzahl meiner Söhne und Töchter nicht mit Unverdientem zu belasten,
Stiftungen, vier an der Zahl, zu finanzieren, darunter eine, die dem immer noch
mißachteten Volk der Sinti und Roma behilflich sein soll. Der Preis, den die
Stiftung verleiht, ist nach einem meiner Lehrer, dem Zeichner und Holzschneider
Otto Pankok benannt, der zeitlebens mit Zigeunern umging und nicht nur auf
Selbstporträts, auch auf Fotos, zudem in meiner Erinnerung als schöner Greis
gelten kann; wie nun Jacob Grimm diesen Gewinn des Alters verbucht, indessen er
vom Katheder weg verkündet: »weshalb es auch wohl heiszt, dasz alte leute
manchmal schöner werden als sie vorher waren.«
Er
jedenfalls steht mir in Schönheit, die durch Verfall gesteigert wird, vor
Augen. Es stimmt: die Wangen sind eingefallen, das einst lockige Haar fusselt,
auch fehlen ihm Zähne, doch immer noch will sein Kinn festen Willen ausdrücken.
Kein Schleier trübt sein Auge. Es ist, als heize ihm inneres Feuer ein. Er
spricht über die Altersfreude am Spaziergang und sagt dem Mann in der Mitte
seiner Lebenszeit nach, daß er selten Muße findet ins Freie zu gehen, »denn
hundert plane und geschäfte halten ihn in der Stadt zurück, für den greis
hingegen wird jeder Spaziergang zum lustwandel.«
Gleich
darauf mäßigt er die ihm geläufige Sprachkritik an Fremdwörtern, die
unzulänglich eingemeindet wurden, indem er für »spazieren« eine Ausnahme gelten
läßt und zur Wortfindung »lustwandel« sagt: »diese Verdeutschung könnte steif
aussehen, diesmal hat sie den nagel auf den köpf getroffen.« Und gleich nach
kurzer Redewendung ist er bei seiner seit Jahren und noch zuletzt gepflegten
Gewohnheit, sich auf entlegenen Pfaden zu bewegen, »selbst unter verdoppeltem
schritt«, wobei ihm gute Einfälle zugeflogen, ihm unterwegs liebe Bekannte
begegnet seien: »wie freute mich innig im thiergarten auf meinen bruder zu
stoszen, nickend und schweigend giengen wir nebeneinander vorüber, das kann
nun nicht mehr geschehen.«
Solche
oder ähnliche Begegnungen sind auch mir bekannt, wenn ich mit unserem Hund,
einst war es Kara, jetzt ist es Minka, unterwegs bin, sei es dem
Elbe-Trave-Kanal entlang, sei es durch den wildwüchsigen dänischen Wald
Ulvshale, und dabei, je älter ich werde, um so häufiger - vielleicht in
Ermangelung eines Bruders - mir selbst begegne, dem Doppelgänger nicht
ausweichen kann, mir zunicke, wortlos, doch voll innerer Rede, die den
Weitere Kostenlose Bücher