Grass, Guenter
von Jacob Grimm geduldet,
dem Buchstaben K zuarbeitet und von kopfhängerisch auf kopfheister kommt - was
auf Plattdeutsch kopphäster heißt und gleich kopfüber Purzelbaumschlagen
bedeutet -, bleibt der zuletzt übrige Grimm in seiner Gelehrtenstube den
Lieferungen zum Band vier, also dem F folgsam. Oder er ist, weil ihn mehr noch
als der staubtrockne Atem der Bücher die Abwesenheit des Bruders bedrückt, auf
Haupt- und Nebenwegen im Tiergarten unterwegs, wo ihm an sonnigen Tagen bunt
aufgeputztes Stadtvolk begegnet, was ihn sogleich vom Fummelholz des
Schuhmachers zu, wie er später auf Zetteln notiert, einer sich deicht
hingebenden, leichtfertigen, liederlichen weibsperson, fummel genannt« führt.
Sodann hängt er - mit Blick auf spazierende Damen - dem »auffallenden kopfputz
der frauen« ein treffendes Zitat an: »dasz dir der fummel vom köpfe fliegen
sol.« Wie auf der Flucht vor sich selbst eilt er davon. Auch die unterm Nabel
umhüllte, doch oberhalb bloße Venus, verlockend am Rand des Bassins, kann ihn
nicht zum Stillstand verführen.
Wieder
zu Hause und allein mit sich zwischen Büchern geht ihm auf, weshalb das tätige
Fummeln auch als »obszönes betasten« gedeutet werden kann. Bei aller Scheu vor
schmutzigen Wörtern und lebenslänglich gehaltenem Abstand zum weiblichen
Geschlecht ist nicht zu verschweigen, »dasz fummeln nahe dem ficken«
anzusiedeln ist. »sich in unzüchtiger weise mit dem fleisch vermischen, was
abfummeln meinen kann«, schreibt er und rettet sich schnell in harmlose
Bestimmungen. Er vergleicht fummeln mit flüchtig getaner Arbeit, dem »müszigen
umherscharwenzeln« und wiederum mit nachlässig getragener Kleidung, dem Fummel.
Doch
während Jacob mit der Fummeltasche abschließt, um alsbald aus sattgefülltem
Fundus zitatsicher auf Fund und dessen schwanzlange Anhängsel zu kommen, hat
andernorts der gleichermaßen worthungrige Hildebrand, ohne sich Erlaubnis zu
erfragen, die Buchstaben G und H, das ichbezügliche I, das jasagende J
übersprungen; er füllt nur noch Zettel mit Wörtern, die alle dem K aufs Kommando
gehorchen.
Warum
dieser Sprung? Wieso huldigte er nicht dem G oder H mit Wörterhaufen zu Gott
und Geist, zu Himmel und Hölle? Weshalb wurde die alphabetische Folge
mißachtet?
Aus
Gründen, die unerklärt bleiben müssen, hielt er den Buchstaben K für
vordringlich. Oder hat Jacob ihn angestiftet, voreilig zu sein? Wollte er sich
den Korrektor auf mehrere Buchstaben Distanz vom Leibe halten? Ahnte er etwa,
daß vor allen anderen Zitiersüchtigen Hildebrand befähigt sein würde, ihm, dem
die Zeit verging und der Tod auf den Fersen war, die unvollendete Arbeit
abzunehmen?
Lauter
Fragen, die ohne Antwort bleiben. Zu vermuten ist nur: vielleicht doch von
lenkender Absicht bestimmt, hat er ihn wie nebenbei mit Belegen zum K
gefüttert, etwa mit dem Stichwort Knoten, von dem noch zu reden sein wird.
Der
Korrektor. Ohne ihn ging es nicht. Anfangs nur spärlich, dann häufiger ist er
im Briefwechsel mit dem Verleger anwesend. Oft zwischen Zeilen versteckt, als
hätte Hirzel ihn für den Notfall aufgespart. Als es noch mit dem Buchstaben A
kein Ende nahm, weigerte sich Jacob, dessen Zusätze zum Stichwort Alpe, nämlich
die Ableitungen Alpenlandschaft, Alpenröschen, Alpental in die Gesellschaft von
ihm erwählter Wörter einzureihen, nahm dann aber Alpenglut, doch nicht das
Alpenglühen, welches sein Verleger, der aus familiären und geschäftlichen
Gründen oft in die Schweiz reiste, vorgeschlagen hatte, vielleicht um seinem
Korrektor beizustehen, der sich von Anbeginn als Zulieferer verstand.
Wer
aber war er, ohne den das Wörterbuch nicht auskam? Was trieb ihn an, neben dem
gewiß aufreibenden Verschleiß in der Thomasschule um Wörter und deren
verzweigtes Geflecht zu feilschen?
Auf
einigen Korrekturbögen überlebt er mit leserlicher Handschrift, so auf jenem
Bogen, der von ahnen bis Ahnfrau reicht. Drauf steht sein Zusatz aus Schillers
Wallenstein »sie scheint unglück geahnt zu haben«. Und weitere Ergänzungen, die
die Wortartikel zu »aber« und »als« anschwellen ließen.
Später
wird der Korrektor in einem der Hirzelbriefe ausdrücklich als »Dr.
Hildebrand«, an anderer Stelle als »gelehrtes Haus« empfohlen. Noch keine
dreißig Jahre alt, gibt er dennoch dem sich hinschleppenden Verlauf der Wörterklauberei
Rückhalt, indem er Zweifel in Fragen ummünzt und Jacobs Kommentare mit
zusätzlichen Zitaten stützt.
Als
Karl Reimer im Jahr
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