Grau - ein Eddie Russett-Roman
Wie viel schulde ich dir für das Gedicht?«
»Von mir aus schnapp dir diese Constance. Ich möchte nur, dass du mir einen Gefallen tust.«
Ich sah sie misstrauisch an.
»Wahrscheinlich dir vom Hals bleiben.«
»Nein. Was weißt du über diesen Matthew Gloss?«
»Meinst du Seine Farbenprächtigkeit? Nicht viel.«
»Aber er ist ein Verwandter von dir, er wohnt bei euch im Haus, und du redest ihn in der Öffentlichkeit mit Matthew an. Das würdest du dir niemals herausnehmen, wenn er es dir nicht angeboten hätte.«
»Wir verstehen uns ganz gut«, räumte ich ein.
»Ich möchte wissen, was er hier macht.«
»Ein Leck in einem Magenta-Farbeinspeisungsrohr reparieren. So hat er es mir jedenfalls gesagt.«
»Das habe ich auch schon gehört. Aber wir sind nicht ans Netz angeschlossen. Man hat ihn gebeten, den Ishihara durchzuführen, und der ist erst in vier Tagen. Ich will wissen, was er wirklich vorhat.«
»Ich soll einen Mitarbeiter von NationalColor für dich bespitzeln? «
»Wow, du hast es erfasst«, sagte sie. »Ich hatte damit gerechnet, dass ich dir das erst noch lang und breit erklären müsste.«
»Ich kann doch nicht meinen Cousin vierten Grades ausspionieren!«
»Oh doch, das kannst du. Und das wirst du.«
»Du scheinst dir deiner Sache ja ziemlich sicher zu sein.«
Sie beugte sich ein Stück vor.
»Bin ich auch. Du wirst es für mich tun, Roter. Constance hin oder her – verliebt bist du in mich.«
Damit war es raus, sie hatte es gesagt, und wenn ich es hätte abstreiten wollen, hätte ich eine halbe Sekunde Zeit dazu gehabt. Aber ich zögerte zu lange, und jede Chance auf Glaubwürdigkeit war vertan.
»Klar doch«, sagte ich wenig überzeugend. »Ich bin einer Oxblood versprochen und lasse mich mit einem Grauen Mädchen ein, das mich nicht nur verachtet, sondern das auch in nicht mal einer Woche im Reboot fällig ist. Was hätte ich davon? Hältst du mich für so unvernünftig?«
»Liebe hat mit Vernunft wenig zu tun, Roter. Das ist der springende Punkt.«
Ich strich mir mit der Hand durchs Haar und überlegte angestrengt.
»Du willst also wissen, was der Colormann hier so treibt?«
Sie nickte.
»Gut«, sagte ich. »Ich will sehen, was ich tun kann. Aber du musst aufhören, mich zu schlagen und mir ständig zu drohen, mich umzubringen.«
»Öfter mal was Neues«, sagte sie und lachte mich schon wieder an. Ich wurde benutzt, aber es machte mir nichts aus, und eigentlich brauchte ich ja auch gar nichts zu tun, denn bevor die Woche um war, säße sie im Reboot ein.
Wir bogen um die nächste Ecke und kamen auf den Marktplatz. Vor dem Rathaus hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt. Anscheinend fand gerade eine Allokationsfeier statt, wir gingen hin und wünschten pflichtbewusst alles Gute.
Ich war bei meiner Allokationsfeier acht oder neun Jahre alt gewesen. Bis dahin hatte ich einen nichts sagenden BS3 -Code aus dem offenen Pool getragen, den die Präfekten verwalteten. Mit der zunehmenden Bedeutung von Familie und Erbe war ein Schlupfloch in den Regeln konstruiert worden, durch das es den Bewohnern möglich wurde, die Postleitzahl eines Verwandten auf ein jüngeres Familienmitglied zu übertragen. Der Code RG6 7GD , der jetzt in meine Brust geritzt war, hatte ursprünglich meinem Großvater gehört. Meinen Kindern hätte ich gerne den alten Code meiner Mutter gegönnt, doch der war einem gewissen Holland Claret zugeordnet worden, den ich aus genau diesem Grund nicht leiden konnte. Die Oxbloods hatten eine ganze Heerschar älterer Verwandter, folglich würden also die Kinder von Constance alle den SW3 -Code bekommen – Oxbloods vom Scheitel bis zur Sohle.
Wir standen am Rand der etwa fünfzigköpfigen Gruppe. Von der Malve leitete die Zeremonie für die kleine Penelope Schwefel, die ihre Allokation am letzten dafür infrage kommenden Tag beging, ihrem zwölften Geburtstag, es war also in zweifacher Hinsicht ein besonderes Fest für sie. Zu Hause in Jade-unter-der-Limone behandelte der Alte Magenta Allokationen als reine Formalität, von der Malve dagegen gab sich immerhin Mühe. Der gesamte Schwefel-Clan, acht an der Zahl, wie ich erkennen konnte, war anwesend; alle strahlten vor Freude, manche verdrückten sogar ein paar Tränen. Ich hätte nie gedacht, dass Gelbe dazu fähig wären.
»Ist es nicht allerliebst?«, flüsterte Jane. »Neues Leben für eine alte Postleitzahl. Es schafft eine Verbindung zu unserer Vergangenheit und zu unserer Zukunft.«
»Manchmal kannst du
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