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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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Artikel gefunden, in dem ein Besuch beim Letzten Kaninchen geschildert wurde, der sechs Jahre zurücklag. Ich hörte mich an wie ein Experte.
    Die Zeiger der Uhr rückten auf vier. Wir beschlossen den Unterricht mit einem Loblied auf den Großen Munsell, die Pultdeckel flogen klappernd zu, ich entließ die Schüler, und im Nu waren sie verschwunden.
    Ich war einigermaßen zufrieden mit mir, und nachdem ich die Stühle unter die Pulte geschoben und die Hausaufgaben in den Papierkorb geworfen hatte, begab ich mich zu Miss Bluebird. Desinteressiert erkundigte sie sich, wie es mir ergangen war, gab mir zehn Meriten und positives Feedback.
    »Hast du ihnen was Nützliches beigebracht?«
    Vor der Schule wartete Jane auf mich. Sie schien sich zu freuen, mich zu sehen, was mich sofort misstrauisch machte.
    »Ich möchte es gerne glauben«, antwortete ich bedächtig und schaute mich um, ob Zeugen in der Nähe waren, für den Fall, dass sie mir etwas antun wollte. Sie bemerkte meine Unsicherheit und sah mich fragend an.
    »Warum so besorgt?«
    »Als du mich das letzte Mal angelächelt hast, fand ich mich unter einem Yateveobaum wieder.«
    Sie lachte. Es klang liebreizend – und war für sie daher so untypisch wie für einen Fisch das Husten.
    »Ganz ehrlich! Willst du jetzt jedes Mal damit ankommen, wenn wir uns sehen? Gut, ich habe gedroht, dich umzubringen. Na und? Warum die Aufregung?«
    »Warum sollte ich mich nicht darüber aufregen?«
    »Ich zeig dir, warum. Droh dumir mal, mich umzubringen.«
    »Lieber nicht.«
    »Mach schon, Roter. Sei kein Feigling.«
    »Wenn du willst: Ich bringe dich um.«
    »Es muss so klingen, als würdest du es ernst meinen.«
    » Ich bringe dich um! «
    Schon landete ihre Faust in meinem Gesicht.
    »Au! Das tut weh! Und wie bitte schön soll das jetzt demonstrieren, dass es keinen Grund gibt, mich aufzuregen?«
    »Gute Frage«, sagte sie nachdenklich. »Vielleicht war es ja doch ein bisschen grob von mir. Aber mal ehrlich, du bist zu nichts nütze, und die Welt dreht sich fraglos auch ohne dich weiter.«
    Ich rieb mir das anschwellende Auge.
    »Du hast wirklich ein einnehmendes Wesen.«
    »Moment mal«, sagte sie, wieder lächelnd. »Wenn hier einer sarkastisch sein darf, dann ich.«
    »Was in Munsells Namen geht hier vor?«
    Miss Bluebird trat gerade aus dem Schulgebäude. Sie trug einen riesigen Stapel Papiere und blickte ungläubig und entsetzt.
    »Bin ich etwa gerade Zeuge einer tödlichen Bedrohung und eines farbwertspezifischen Angriffs geworden?«
    Jetzt bloß schnell eine Ausrede erfinden, dachte ich, musste aber feststellen, dass Jane noch viel geschickter im Erfinden von Lügengeschichten war als Tommo.
    »Aber nicht doch«, antwortete Jane in aller Unschuld. »Master Edward und ich haben nur einen Scheinkampf für Red Side Story geprobt.«
    »Wir nehmen zusammen am Casting teil«, ergänzte ich. »Nicht, Jane?«
    Sie schnitt ein Gesicht und nickte.
    »Das sah sehr überzeugend aus«, antwortete Miss Bluebird voller Bewunderung. »Ich gehöre der Jury an. Könnten Sie uns die Technik heute Abend noch mal vorführen?«
    »Sooft Sie wollen«, antwortete Jane munter.
    »Großartig!«, sagte Miss Bluebird. »Bis heute Abend dann.«
    Sobald sie weg war, wandte sich Jane mir zu und zischte: »Wir gehen auf gar keinen Fall zu dem Casting!«
    Was ganz in meinem Sinne war; wiederholt solche Schläge verpasst zu bekommen ist kein Vergnügen. Lieber würde ich eine Augenbraue verlieren, und die Sache wäre überstanden.
    »Wir sollten weitergehen«, sagte Jane, »bevor wir noch Verdacht erregen. Wenn jemand in Hörweite ist, dann sprich mich an und sag mir, was du zum Abendessen haben willst, und dann schimpf mich aus, ich hätte deinen Kragen nicht richtig gestärkt.«
    Wir gingen los, und nach einem kurzen Verlegenheitsschweigen sagte ich: »Du hast vor der Schule auf mich gewartet. Wolltest du etwas von mir?«
    »Nein«, sagte sie. »Aber du von mir. In der Grauen Zone geht das Gerücht, ein Roter Möchtegern ohne einen Funken Phantasie und mit einer Beule in der Hose braucht ein bisschen Nachhilfe, weil er irgend so eine unerreichbare Alphatussi zu Hause verführen will.«
    »Und was soll das heißen – abgesehen davon, dass du mich nicht ausstehen kannst?«
    »Du wolltest, dass jemand ein Gedicht für dich schreibt.«
    »Und du bist die beste Dichterin des Dorfes?«
    »Mit Abstand.«
    Ich nutzte die winzige Chance, die sich gerade für mich aufgetan hatte, und fragte sie, ob wir unser

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