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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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beruhigenden Wissen, pflichtbewusst dem Kollektiv gedient zu haben, sich wieder um ihre eigenen Belange kümmern.«
    »Und die ausführliche Antwort?«
    Der Colormann sah mich an und ließ sich die Sache durch den Kopf gehen.
    »Nur mal angenommen, ich hätte eine Bekannte in Smaragdstadt«, sagte er. »Ebenfalls angenommen, ich würde, rein theoretisch, das Paar mit ihr bekannt machen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Vermittlung eines solchen Kontakts – hypothetisch gesprochen – ungefähr tausend Meriten wert wäre, in bar. Wenn die beiden erst mal dort sind, müssten sie mit der Kontaktperson selbst verhandeln. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
    »Ja, Sir.«
    Innerlich seufzte ich erleichtert auf. Ich hatte viel riskiert, aber ich war noch mal davongekommen. Ich war nicht mal ins Schwitzen geraten. Dorian und Imogen würden sich freuen, aber tausend Meriten in bar, das hieß: jede Menge abschreckender Fotos im Spectrum und mindestens eine halbe negative Tonne Schweblinge.
    Der Colormann überlegte kurz und senkte dann die Stimme.
    »Sagen Sie mal, Edward, haben Sie schon mal daran gedacht, für NationalColor zu arbeiten?«
    Jeder hatte irgendwann in seinem Leben schon mal über eine Karriere bei NationalColor nachgedacht.
    »Glauben Sie, dass ich dafür geeignet bin?«
    »Durchaus denkbar. Ihre diplomatischen Fähigkeiten haben mich beeindruckt, und Sie besitzen ein gutes Gespür für Farben. Ich habe auch von Ihrem abenteuerlichen Ausflug in der Dunkelheit gestern Abend gehört. Das zeugt von – Tatkraft.«
    »Am Ende musste ich dann aber selbst gerettet werden.«
    »Um zu scheitern, muss man erst mal etwas gewagt haben. Aber verraten Sie mir doch, warum Sie Ihr Leben für einen Gelben riskiert haben.«
    »Er war mein Freund.«
    Der Colormann nickte bedächtig.
    »Ich finde Loyalität bei unseren Bewohnern bewundernswert«, sagte er, »solange sie richtig verstanden wird. Fehlgeleitete Loyalität ist vergeudete Loyalität.«
    »Außerdem wollte ich sehen, wie das ist«, sagte ich leise, »sich nachts zu verirren.«
    »Und wie war es?«
    »Um ehrlich zu sein: schrecklich.«
    Der Colormann sah mich lange an, kam dann offenbar zu einer Entscheidung und holte einen Umschlag aus seiner Jacketttasche.
    »Das hier ist eine Einladung zum Eingangsexamen bei NationalColor. Sie benötigen dazu immer noch die Genehmigung Ihres Oberpräfekten – die er Ihnen verweigern wird. Präfekten neigen allgemein dazu, sich sogar die mittelmäßig perzeptiven Bewohner zur Farbsortierung zu reservieren. Erfindungsreichtum wird bei NationalColor mit Wohlwollen betrachtet. Beschaffen Sie sich also die nötige Unterschrift für dieses Dokument, und Sie sind ein Kandidat für die Farbbranche.«
    Ich dachte, er würde mir den Brief jetzt aushändigen, aber nein, er legte ihn stattdessen auf einen Tisch vor uns.
    »Ich darf mich doch auf Ihre absolute Diskretion verlassen, Edward, oder?«
    »Jawohl«, sagte ich.
    »Dann schwören Sie, dass das, was ich Ihnen sage, unter uns bleibt.«
    »Beim Worte des Munsell.«
    Er sah sich um und sprach mit gesenkter Stimme weiter.
    »Der Grund für meinen Besuch hier in Ost-Karmin ist nicht allein das Leck in der Magentaleitung oder die Durchführung des Ishihara.«
    »Nicht?«
    »Nein. NationalColor nimmt den illegalen Verkauf von Farbmustern sehr ernst. Der Diebstahl, den Robin Ocker begangen hat, ist daher für uns von erheblicher Bedeutung. Einer von Ockers Komplizen war Zane G49, den Sie ja kennen dürften. Leider verstarb er, bevor wir ihn zu seiner Tat befragen konnten. Wir vermuten, dass er sich als Purpurner ausgegeben und an diverse Farbgeschäfte im Kollektiv ›überschüssige‹ Farbmuster verkauft hat. Natürlich ist niemand auf die Idee gekommen, seine Motive zu hinterfragen, da man ihn für einen Purpurnen hielt. Der Wert der gestohlenen Farbmuster beläuft sich, vorsichtig geschätzt, auf zwanzigtausend Meriten.«
    »Du meine Güte!« Ich war selbst gespannt, ob ich den Anschein von Naivität bis zum Ende des Gesprächs würde aufrechterhalten können.
    »Aber das ist noch nicht alles«, fuhr der Colormann fort. »Wir gehen davon aus, dass noch eine andere Person beteiligt war. Jemand, der sich vielleicht noch versteckt hält, hier in Ost-Karmin. Und der eine große Gefahr für die Stagnation darstellt.«
    »Ein Fanatiker?«
    Er nickte.
    »Der übelsten Sorte. Ich will keine Panik verbreiten, aber wenn monochromatischer Fundamentalismus erst einmal Fuß gefasst hat, wird es

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