Grau - ein Eddie Russett-Roman
sollen sogar zusammen gelacht haben. Schallend gelacht, wie manche sagen. Und unterm Tisch Händchen gehalten haben. Hör zu«, ergänzte sie noch, »ich will mit offenen Karten spielen. Meine Mutter interessiert sich für deinen Vater. Und nicht nur, weil sie ab und zu gern mal eine Tasse Tee mit ihm trinken oder einen Spaziergang entlang den Außenmarkierungen machen will. Sie ist gerade sehr verletzlich, und ich möchte nicht, dass man ihr weh tut. Wenn dein Vater glaubt, er könnte eine gramgebeugte Witwe ausnutzen, kriegt er es mit mir zu tun.«
Verabredet sich mit dem Nachfolger ihres verstorbenen Gatten im Gefallenen Mann und lacht laut – wie eine gramgebeugte Witwe benahm sich Mrs Ocker in meinen Augen nicht gerade.
»Ebenso«, erwiderte ich. »Ich will nicht, dass jemand das gütige Wesen und die momentane Einsamkeit meines Vaters ausnutzt, nur um eine Verbindung herbeizuführen, die eigentlich nicht in seinem Interesse sein kann.«
»Hm«, sagte sie. »Damit stehen sich unsere Eltern in puncto Verletzlichkeit also in nichts nach. Vielleicht sollten wir sie einfach gewähren lassen und erst mal abwarten, wohin das führt. Ich schlage vor, dass wir uns bald wieder treffen und dann besprechen, ob wir ihre Pläne durchkreuzen oder nicht.«
»Einverstanden. Ach, übrigens, hast du zufällig Boysenbeerenmarmelade?«
»Oh!«, murmelte sie. »Auf der Jagd nach Wissen?«
»Wieso? Hast du dich auch mit dem Apokryphen Mann unterhalten?«
Sie lachte.
»Mir ist es gelungen, aus einem ausgetrockneten Marmeladenglas wieder etwas Boysenbeere herzustellen. Sie war nicht sehr gut, aber für eine halbe Frage hat es gereicht.«
Sie klappte den Backofen auf und probierte die Blätterteigpasteten mit Hühnchenfüllung.
»Wenn du welche auftreiben kannst, komme ich für die Hälfte der Kosten auf, und du hast eine Frage gut.«
»Abgemacht.«
Es entstand eine Pause.
»Entschuldige, dass ich das anspreche«, sagte ich, »aber hatte dein Vater viel mit der Grauen Jane zu tun?«
»Warum willst du das wissen?«
Ich musste mir schnell etwas einfallen lassen, also sagte ich einfach, was mir als Erstes in den Sinn kam.
»Es hängt mit meiner … mit der Stuhlzählung zusammen.«
»Ach so. Nein. Nicht, dass ich wüsste. Aber irgendwann wird er wohl jeden mal gesehen haben, bei ihrer Geburt war er auf jeden Fall dabei. Es sei denn … «
»Was für ein herrlicher Blumenstrauß!«, sagte Mrs Ocker, als sie in die Küche kam. »Kannst du bitte den Tee ausschenken, Lucy, während ich zusammen mit Holden – ich meine Mr Russett – die Gäste an der Tür empfange? Edward, seien Sie so gut und kümmern Sie sich um die Garderobe der Gäste. Und wenn Sie danach bitte die Gurkensandwiches herumreichen würden.«
Ich nahm den Teller vom Tisch und ging damit in das geräumige, holzgetäfelte Wohnzimmer. Mrs Ocker hätte die Sandwiches auch mit echter Salatgurke belegen können, doch Gurken absorbieren die grüne Farbtönung nicht so gut. Die Scheiben waren von einer Zucchini, die die künstliche Farbe besser aufnehmen, ein helles smaragdenes Ersatzgrün. Der Raum war schon halb voll, doch von den Anwesenden kannte ich nur Mrs Lapis-Lazuli und den Apokryphen, der sich gewaschen und sogar einen Anzug angezogen hatte. In Gesellschaft anderer durfte ich ihn nicht zur Kenntnis nehmen, wenn ich nicht schwere Bestrafung riskieren wollte, also ging ich einfach weiter, damit er sich im Vorbeigehen ein paar Sandwiches vom Teller nehmen konnte. Mit einem Kopfnicken begrüßte ich Mrs Lapis-Lazuli, die zur Erwiderung kaum wahrnehmbar ebenfalls den Kopf senkte.
Die Gespräche drehten sich hauptsächlich darum, dass Hoch-Safran vermutlich zum Wertgutsammeln freigegeben werden sollte und Ost-Karmin vielleicht doch noch eine Gute-Laune-Messe ausrichten werde, falls die Anschlussleitung volle Colorierung brachte.
Die nächsten Gäste trafen ein, Aubrey und Lisa Lemonsky, die Eltern von Jabez.
»Sie müssen Edward sein«, begrüßte mich Aubrey, während Lisa mit Mrs Ocker und meinem Vater schwatzte, die beide mühelos in die Rolle der Gastgeber geschlüpft waren.
»Sie tragen ja einen Doppelfarbnamen«, bemerkte ich. »Davon habe ich noch nie gehört.«
»Kommt wohl auch selten vor«, spekulierte Aubrey. »Es ist zwar regelgemäß, wird aber nicht gerne gesehen. Meine Frau ist die Cousine von Turquoise, ihr haben wir den Namen zu verdanken, sie hat das für uns gedeichselt. Außerdem: Ist ja nicht so, als wären wir
Weitere Kostenlose Bücher