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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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Apokrypher?«
    »Eigentlich bin ich Historiker. Die Zentrale war immer der Ansicht, es wäre leichter, die Gesellschaft zu erforschen, wenn man unsichtbar ist. Deswegen werde ich übersehen, per Gesetz. Aber das ist schon eine ganze Weile her, und ich glaube, ich bin ein bisschen wirr geworden. Dann wurde bei einem dieser zahllosen Rücksprünge alle Geschichte verbannt, und jetzt komme ich mir vor wie ein Schuster in einer Welt ohne Füße.«
    »Und warum wurde Geschichte verbannt?«, wollte ich von ihm wissen.
    »Es war nur die logische Ergänzung zur EntFaktung«, antwortete der Historiker mit einem Seufzer. »In einer Welt, die sich der Stagnation verschrieben hat, gibt es für so etwas keinen Bedarf. Schließlich unterscheidet sich diese Woche nicht wesentlich von der vergangenen Woche oder von der kommenden oder von irgendeiner Woche vor siebenunddreißig Jahren, an die ich mich erinnern kann. Das heißt nein, Moment, in der Woche habe ich geheiratet. Na gut, also dann die Woche danach.«
    »Vor siebenunddreißig Jahren war ich noch nicht auf der Welt«, entgegnete ich. »Für mich unterscheidet sie sich also erheblich.«
    »Wie hieß Ihr Großvater?«
    »Er hatte den gleichen Namen wie ich, Eddie.«
    »Und seine Postleitzahl?«
    »Dieselbe wie meine. Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen. Aber mein Großvater war ja nicht ich, also, ich meine, er war nicht dieselbe Person.«
    »Hätte er aber durchaus sein können. Im großen Ganzen ist das kein realer Unterschied. Jedenfalls nicht für das Kollektiv als Ganzes und schon gar nicht für die Zentrale.«
    Ich dachte darüber nach. Mein Großvater hatte dieselben Möbel benutzt und in demselben Haus gewohnt. Er hatte dieselben Fakten gekannt und sich dieselben Dinge im Leben gewünscht. Er hatte sogar so ausgesehen wie ich. Der einzige Unterschied war, dass er weniger Rot gesehen hatte. Ich machte den Apokryphen Mann auf diese Tatsache aufmerksam.
    »Stagnation, aber mit Kreislauf. Farbe hat, wie Sie wissen, keine Farbe. Sie sind nicht R ot im eigentlichen Sinn – nur ein Wesen im Übergang, das sich spiralförmig durch das Getümmel bewegt, Teil des Farbkreises.«
    Er hatte recht. Das Prinzip des Kreises war wasserdicht und fest verankert in Munsells Schriften.
    »Heute ein Purpurner, morgen ein Grauer. Morgen ein Gelber, heute ein Blauer«, zitierte ich.
    »Simpel, nicht? Kein Zufall, dass niemand länger als fünf Generationen ein Grauer sein muss.«
    »Theoretisch zumindest«, sagte ich, da einige Familien farbwertig länger als üblich heller blieben als andere und dadurch den Kreis »ovalisiert« hatten – zu ihnen gehörten die Oxbloods und die von der Malves, die Kobalts und die Butterblumsippe. Tatsächlich war der Mangel an Grauen Familien der Hauptgrund für das Problem der Überbeschäftigung – dies und der Mangel an Postleitzahlen für Neuzuordnungen.
    Der Geschichtskundler zuckte mit den Schultern.
    »So läuft es ja erst seit fünfhundert Jahren, vielleicht braucht es noch eine Feinjustierung. Nächste Frage.«
    »Was ist mit Robin Ocker passiert?«
    Der Apokryphe Mann sah mich unverwandt an.
    »Vorsicht«, ermahnte er mich. »Information kann befreiend wirken, aber auch einengen. Ocker hat am Rand der Regeln operiert und damit die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass er ermordet wurde?«
    »So würden sie es nicht bezeichnen, und falls es doch Mord war, dann wurde er auf eine sehr dezente Weise verübt. Ich habe bisher noch kein Grün gelinst, aber wenn einer abtreten muss, ist das Grüne Zimmer, wie man hört, eine außerordentlich angenehme Methode.«
    »Wer hat ihn ermordet?«
    Er schüttelte den Kopf und stieß einen tiefen Seufzer aus.
    »Ich gebe mir selbst die Schuld. Er hatte Fragen, und ich habe ihn zur Wahrheit geführt. Aber wer nach Antworten sucht in einer Welt, in der es nicht nur wünschenswert, sondern zwingend vorgeschrieben ist, Antworten zu verbergen, der muss bereit sein, Risiken einzugehen. Ich habe gehört, dass Zane ebenfalls tot ist.«
    »Seit gestern. In Zinnober gestorben. Es war der Mehltau.«
    »Damit hat er gerechnet«, murmelte er. »Letzte Frage.«
    »Sind Schubkarren aus Bronze?«
    Der Apokryphe Mann sah mich neugierig an.
    »Das ist Ihre letzte Frage?«
    Ich zuckte die Schultern.
    »Vielleicht haben Sie mich nicht richtig verstanden«, sagte er, »aber ich war mal Historiker. Das ist fast so etwas wie ein Orakel. Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als Ford Pritschenwagen der

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