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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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Komplementärfarben.«
    Ich musste mich unwillkürlich schütteln bei dem Gedanken. Die Vorstellung einer Verbindung zwischen Rot und Grün, Blau und Orange oder Gelb und Violett war ekelhaft.
    »Hat Ihnen die Gutenachtgeschichte gefallen?«, tönte eine unerwartet laute Stimme hinter mir. Ich drehte mich um, Mrs Lapis-Lazuli sah mich streng an.
    »Sehr sogar.«
    »Wundervoll! Ich kann mir nicht vorstellen, wer solche Geschichten in die Welt setzt. Unverantwortlich!«
    Sie zwinkerte mir zu.
    »Wie ich vernommen habe, denken Sie darüber nach, für immer bei uns zu bleiben.«
    »Eigentlich nicht«, entgegnete ich. »Im Gegenteil.«
    »Wie schön. Wir brauchen dringend frisches Blut, um das festgefahrene politische Gefüge mal wieder ein bisschen aufzumischen. Ach, du meine Güte!«, rief sie plötzlich, als ihr Blick auf eine Dame am anderen Ende des Raums fiel, die ebenso viele Falten hatte wie sie. »Granny Karmesin! Und ohne ein Anzeichen von Fäulnis im Gesicht. Erstaunlich. Wie macht sie das nur? Das muss ich mir aus der Nähe ansehen.«
    Sie entschwand ohne ein weiteres Wort.
    »Eine der tragenden Säulen der Debattiergesellschaft«, klärte mich Mr Lemonsky auf, während die alte Frau wie ein junges Fohlen über das Parkett hüpfte. »In ihrer Jugend war sie unsere beste Hockeyspielerin. Sie hat das Dorf bei den Sportwettkämpfen auf der Gute-Laune-Messe sechzehnmal vertreten. Ihre Fachgebiete sind Strichcodes, Buchtitel und Karten. Sie besitzt eine Original-Weltkarte von Parker Brothers.«
    Das war insofern interessant, als diese Karte die einzige Ansicht der Welt vor dem Großen Ereignis war, die wir besaßen. Aus irgendeinem Grund war ihre Vernichtung im Anhang XXIV nicht vorgesehen.
    »Ist sie auch eine Anhängerin der Theorie, die Karte würde globale chromatische Regionen der prä-Epiphanischen Welt darstellen?«
    »Ja, aber ich selbst bin da skeptisch. Wenn unsere Region zum Zeitpunkt des Großen Ereignisses tatsächlich im blauen Bereich gewesen sein soll, dann würde es heute mehr Hinweise darauf geben.«
    »Und das Akronym RISK ? Wofür steht das Ihrer Ansicht nach?«
    »Ja, ja, ich weiß. Regional International Spektral Kolor«, räumte Mr Lemonsky ein, als er meinen zweifelnden Blick bemerkte. »Das muss irgendein archaischer Begriff sein. Aber lassen Sie sich die Karte mal zeigen. Sie ist fast vollständig erhalten, nur die Länder Irkutsk und Kamtschatka sind von Würmern angefressen.«
    »Ja, das mache ich. Vielen Dank für den Hinweis.«
    »Keine Ursache. Was sagen Sie zu unserer Knisterfalle?«
    »Sehr beeindruckend.«
    »Ja, nicht? Die Grauen, die wir beim Bau verloren haben, wären es nicht wert gewesen, sagen manche, aber Gerüstmaterial ist heutzutage furchtbar teuer. Was für ein Glück, dass wir so eine Präfektin wie Schwefel haben, meinen Sie nicht auch? Prächtige Lady.«
    Ich hatte vergessen, dass Aubrey zwar ein grünes Farbkennzeichen trug, aber für den gelben Bestandteil seines Namens stand: ein zitronig säuerlicher Gelber, wie er im Buche stand.
    Neue Gäste hatten den Raum betreten, ein Paar. Die Frau erkannte ich wieder, Tommo hatte mich schon im Gefallenen Mann auf sie aufmerksam gemacht. Es waren die Eltern von Doug und Daisy Karmesin. Der Vater hatte einen etwas düsteren Gesichtsausdruck, unverkennbar ein Senior-Aufseher, der bei der Beförderung übergangen worden war. Er besaß die irritierende Angewohnheit, sich ständig umzusehen, wenn man sich mit ihm unterhielt – woanders könnte ja ein viel interessanteres Gespräch im Gange sein.
    »Darf ich vorstellen?«, sagte Aubrey, als die beiden auf uns zukamen. »Das ist Edward Russett. Ich habe gerade versucht, ihm zu erklären, wie gefährlich Blitzeinschläge sind.«
    Man gab sich reihum die Hand, sagte sich Nettigkeiten, aber ich spürte, dass die beiden mich genau musterten. Es könnte ja der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass ich doch in Ost-Karmin blieb und möglicherweise ein starker Roter war, so wie ihr Sohn.
    »Blitzeinschläge? Mir machen die Schwäne viel mehr Sorgen. Und das Gesindel.«
    »Ach, kennen Sie sich aus mit Gesindel?« Ich bemühte mich, es wie eine intelligente Frage klingen zu lassen und zu überspielen, dass es sarkastisch gemeint war.
    »Ich bin kein Mensch mit Faktenwissen«, sagte Mr Karmesin. Er war ein Trottel, aber wenigstens war er ehrlich. »Meine Domäne sind Unbewiesene Spekulationen. Mrs Schwefel kennt sich da besser aus, nicht?«
    Mir war gar nicht aufgefallen, dass die Gelbe

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