Grau - ein Eddie Russett-Roman
für eine Stunde glühend heiß wurden, oder prä-Epiphanisches Fensterglas, das sich mittags mit einem Brummen selbst reinigte.
»Darüber hinaus«, lieferte Lucy noch eine letzte Bemerkung nach, »ist mir aufgefallen, dass in Regionen starker Harmonie Schweblinge einige Zentimeter höher steigen als sonst, was auf einen Zusammenhang zwischen Musik und Anziehungskraft hindeutet.«
Nach diesen dramatischen Ereignissen verzehrten wir unseren Reispudding in Schweigen, dann gab es Zitronentee, und anschließend hielt Mrs Lapis-Lazuli einen Vortrag über ein Thema, mit dem sie sich bereits ein Leben lang beschäftigte – Strichcode-Forschung. Sorgfältig herausgearbeitete Thesen, ansonsten viel Theorie, wenig Fakten. Sieben der bekannten einunddreißig Strichcodes hatte sie dechiffriert, konnte jedoch weder erklären, welche Vorteile Strichcodes gegenüber Zahlen eigentlich hatten, noch, warum überhaupt fast alles mit Strichcodes versehen war. Nicht nur die prä-Epiphanischen Artefakte, sondern fast alles andere auch – von Perpetulit bis hin zu Eichen, Yateveobäumen, Nacktschnecken, Obstfliegen, Mäusen, Wurzelgemüse, Nashörnern – selbst wir, denen so etwas Ähnliches wie Strichcodes aus den Nagelbetten der linken Hand herauswuchs. Ihre Lieblingsthese besagte, die Einstigen hätten regelmäßig Inventur gemacht; sie wollten nicht nur wissen, wo all diese Dinge sich befanden, sondern auch wie viele es davon gab. Das war gar nicht mal so unwahrscheinlich, denn die Einstigen waren bekannt für ihre Sucht, Dinge zu zählen, um sie kontrollieren zu können. An manchen Dingen hatte sie teilweise »rudimentäre« Codes beobachtet, wie das heute unleserliche Geschmiere auf den Rücken von Eseln, und einige wenige Dinge trugen überhaupt keine Strichcodes, vor allem Fledermäuse, Äpfel, Strichcodes selbst und Rhododendron. Am Ende erhielt sie wohlwollenden Applaus, bedankte sich artig und vergaß auch nicht, die Bibliothekare zu erwähnen, die ihr bei der Recherche kundig zur Seite gestanden hatten.
Die Diskussion danach klang rasch ab, die Versammlung ging in ein allgemeines Geplauder über, die Gastgeber spendierten noch etwas Limone, welches die unverhohlen erfreuten Gäste reihum linsten, und als der Abend vorüber war, trennten sich alle in bester Freundschaft. Selbst Sally Schwefel war auszuhalten und machte sogar einen Witz über den verschrumpelten Zeh, den Bunty in ihrer Kitteltasche entdeckt hatte.
Eine Stunde vor Nachtruhe kam ich nach Hause. Dad hatte gesagt, ich solle ruhig schon vorgehen, er wollte Mrs Ocker noch beim Aufräumen helfen. Ich war keine zwanzig Minuten im Bett, da erloschen die Straßenlampen und über die Radiatoren setzte wieder das Morse-Geplapper ein. Hauptsächlich ging es um den Anschluss ans Versorgungsnetz, die Anwesenheit des Colormanns und die Frage, wer wohl so blöd sein würde – oder so verwegen –, sich freiwillig für die Expedition nach Hoch-Safran zu melden. Sogar von mir war die Rede und von meinem Versuch gestern Abend, Travis zu retten. Die Meinungen reichten von »verrückt« über »tapfer« bis zu »ich finde, er hat einen süßen Hintern«.
Über all den Klatsch klopfte Mrs Lapis-Lazuli noch die nächtliche Folge des Fortsetzungsromans. Ich wusste jetzt genau, dass sie es war, denn ich hörte das leichte Zittern ihrer Hand heraus. Ich lauschte noch eine Weile der Klopflesung aus Renfrew, überlegte, ob ich dem Colormann von Jane erzählen sollte oder doch lieber Jane von dem Colormann, ob es eine gute Idee war, den Frage-Klub ins Leben zu rufen, und dachte an die Theorie des kultivierten Schlangestehens und natürlich an die Schubkarre, dann schlief ich ein.
Grenzpatrouille
3.2.02.58.624 : Grenzpatrouillen sind mindestens einmal täglich durchzuführen, bei Bedarf auch häufiger. Die Teilnahme ist für jeden verpflichtend.
»Alle mal herhören«, sagte Präfekt Turquoise. »Ich erwarte eine disziplinierte Grenzpatrouille, diesmal also bitte keine Dummheiten. Die Grenze nur überschreiten, wenn es absolut unumgänglich ist, und unter gar keinen Umständen weiter als bis zu den Außenmarkierungen. Wir hatten seit sechs Jahren keine Schwanattacken, und seit dreißig Jahren wurde auch kein Gesindel mehr gesichtet – aber glauben Sie ja nicht, wir könnten uns deswegen in Sicherheit wiegen. Zweierformation, wie üblich. Halten Sie die Augen offen, erschrecken Sie keine Megafauna, und denken Sie daran, an jeder Telefonzelle Meldung zu machen. Mr Limone hat uns
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