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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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entfaltet.
    »Wie lange liegt er schon hier?«
    Doug überlegte. »Ich kann mich daran erinnern, dass man mich kurz nach seiner Landung mal hierhergeführt hat«, sagte er. »Das dürfte vor etwa dreizehn Jahren gewesen sein.«
    »Wo kommt er her?«
    Doug zuckte mit den Schultern und zeigte nach oben, was mir auch nicht viel weiterhalf.
    »Bei so vielen unbeantworteten Fragen, die im Raum schweben«, sagte er und sah auf die Uhr, »ist die Ankunft eines fremden Mannes, der an einen Metallstuhl festgebunden ist, eigentlich nicht weiter von Bedeutung.«
    »Vielleicht«, entgegnete ich, »liegt das viel größere Geheimnis darin, dass niemand darauf brennt, das herauszufinden. Was meinst du?«
    »Falls du mich für den Frage-Klub anwerben willst«, sagte Doug mit einem Lachen, »bist du an den Falschen geraten. Auch wenn wir wissen, wo der Gefallene Mann herkommt, wird sich unser Leben nicht entscheidend verändern. Auch nicht, wenn wir herausfinden, was das Große Ereignis war oder der Name von Munsells siebtem Apostel und die Unaufgeklärte Abscheuliche Tat.«
    »Na gut«, sagte ich. »Ich werde dich nicht mehr damit behelligen.«
    Wir kletterten wieder hinauf zu dem Fußweg und marschierten eine halbe Stunde schweigend vor uns hin, folgten dem Verlauf des Tals, bis der Erdwall nach Süden abbog. Dann kamen wir an die Stelle, wo die West-Straße die Grenze kreuzte und ein großes stabiles Holzgatter den Weg blockierte. Wir blieben stehen, um Meldung zu machen. Es gab eine weitere Telefonzelle an diesem Markierungspunkt, sogar einen Unterstand, falls es regnete, und praktischerweise einen Faraday’schen Käfig zum Schutz gegen Blitzschlag.
    »Du kannst diesmal anrufen, Eddie.«
    Ich nahm die Haube über dem Telefon ab und rief Turquoise an, nannte ihm unseren Code und die Nummer der Zelle, und nachdem er mich ermahnt hatte, nicht zu trödeln, wurde die Leitung unterbrochen.
    »Wir haben unseren Sektor zur Hälfte umrundet«, sagte Doug und trank einen Schluck Wasser. »Wir haben noch reichlich Zeit. Willst du mal was ziemlich Verrücktes sehen?«
    »Du wirst doch jetzt nicht etwa Blau, oder?«
    Er lachte.
    »Diese Schaubühnen-Vorstellung hast du auf der Gute-Laune-Messe also auch gesehen, was? Nein, nein. Es dauert nicht lange, es ist gleich hinter den Markierungen.«
    Er öffnete das Gatter, und wir gingen über den weichen Perpetulitbelag bis vor zu den Außenmarkierungen, die nichts anderes waren als eine Reihe von Holzpfosten, die in Abständen von etwa zwanzig Metern parallel zur Grenze verlief, aber etwa fünfhundert Meter davon entfernt. Um die vorherrschende Farbausrichtung des Dorfes deutlich zu machen, waren die Pfosten mit rotem Altmaterial verziert, das jedes Jahr im Rahmen der Feierlichkeiten zum Gründungstag erneuert wurde. Die Außenmarkierungen waren technisch gesehen der Rand unserer Welt, doch der Streifen zwischen der Grenze und den Pfosten galt traditionell als Toleranzzone, in der man sich ungestört und mit einem gewissen Maß an Freiheit amüsieren konnte. Man konnte herumschlendern, nachdenken, reden, tanzen mit Körperkontakt, ein improvisiertes Picknick machen, rufen – sogar kuscheln oder sich Dingen hingeben, die eigentlich für das Wollgeschäft reserviert waren, solange sie mit der gebotenen Diskretion begangen wurden.
    Wir kamen an die Pfosten, und Doug zeigte grinsend auf die Fahrbahn.
    »Was sagst du dazu?«
    Bei Blättern hatte ich es schon häufiger beobachtet, gelegentlich auch bei kleineren Tieren, aber noch nie bei etwas so Großem wie einer Giraffe. Das arme Geschöpf war einfach mitten auf der Fahrbahn tot umgefallen, und die organoplastoide Masse, statt es beiseitezuräumen, hatte es absorbiert.
    »Auf dem Abschnitt zur Kahlen Landspitze gibt es wenig Baumbestand«, erklärte Doug, »und die Brandrodung des Rhododendrons hat ihm schwer geschadet. Deswegen absorbiert der Organoplastoid alles, was es kriegen kann.«
    Das riesige Tier war verdaut worden, als wäre es Blätterstreu, übriggeblieben war nur ein giraffenförmiger Umriss in dem Perpetulitbelag, der Abdruck des Skeletts deutlich erkennbar, selbst das netzförmig gemusterte Fell darüber zart angedeutet, und geschwungene Linien, Spuren von Kalkspat, zogen sich bis zu einer der weißen Straßenmarkierungen.
    »Ein irrer Anblick, nicht?«, sagte Doug. »Es hat nur sechs Tage gedauert. Aber jetzt komm, wir müssen weiter.«
    Wir gingen zurück zum Holzgatter, und ich erzählte Doug von der Binnengrenze unweit von

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