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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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sein.«
    »Würden sie mir welche verkaufen?«
    Er lachte, was ich als ein Nein interpretierte.
    Schweigend überquerten wir den Fluss, kamen an der Fabrik und dem Bahnhof vorbei und marschierten dann weiter auf der Weststraße. Das schmale Tal vor uns öffnete sich und ging über in die bewaldeten Höhen des Rotsteinplateaus. Zwischen den Bergen erkannte ich einen großen grauen Komplex, und ich machte Doug darauf aufmerksam.
    »Das ist eine Stauanlage mit fünf Staustufen. Das haben uns die Einstigen hinterlassen«, erklärte er. »Es hat hier viel geregnet, sogar damals. Der Blaue Sektor West wird immer noch daraus gespeist, über ein hundertzwanzig Kilometer langes Aquädukt. Es ist so groß, dass man darin herumspazieren konnte, aber die Kalkablagerungen sind heute knöchelhoch. Auf dem Weg nach Hoch-Safran kommt man an den Dämmen vorbei. Mittlerweile sind die Becken ziemlich verschlickt.«
    Nach einer scharfen Rechtskurve und einem Pfad bergauf kamen wir an die Grenze. Sie sah fast genauso aus wie in Jade-unter-der-Limone, ein etwa zehn Meter hoher Erdwall, auf dem eine streckenweise eingefallene Steinmauer verlief, dahinter ein tiefer, mit einer dornigen Brombeerranke zugewachsener Graben. Ein unüberwindliches Hindernis für jedes Nashorn und jeden Elefanten; Riesenfaultiere oder Sprungziegen dagegen hätte es nicht abgehalten.
    Diesseits der Grenze stand eine Telefonzelle, die grau statt rot angestrichen war, aus rein colornomischen Gründen. Sie hatte keine Tür, nur noch drei Glaswände, und durch Bodenkriechen war die Kabine zu einem Viertel in der Erde versunken. Das Bakelittelefon funktionierte trotzdem einwandfrei, vor Nässe geschützt unter einer Haube, die auch als Abdeckung für einen Kuchen nicht deplatziert gewirkt hätte.
    Doug nahm die Haube ab, wählte die Nummer und meldete, wo wir uns gerade befanden. Turquoise würde jetzt in dem unterirdischen Navigationsraum sitzen, in dem – aus zweifellos triftigen, dennoch unbekannten Gründen – die Position des Teams auf einem großen, mit einer Karte des Subkollektivs bemalten Tisch markiert wurde.
    Doug hängte ein, stülpte die Haube über den Apparat, und wir trotteten weiter. Die Sonne stand noch tief, es war kühl, Tau hing in der Luft. Gelegentlich erblickte ich einen natürlichen roten Farbton in der überbordenden Landschaft. Die Vögel, vom Tritt unserer schweren Schuhe geweckt, reckten den Kopf aus dem Gefieder hervor und zwitscherten.
    »Ich würde auch singen, wenn ich fliegen könnte«, sagte Doug. »Guck mal, da drüben. Der Gefallene Mann.«
    Er zeigte auf eine von einer niedrigen Mauer umgebene Einfriedung unmittelbar hinter der Grenze, auf einem ebenen, gerodeten Stück Land, überragt von zwei Ginkgobäumen, die aussahen, als würden sie Invasionspläne miteinander aushecken. Ich entdeckte einen Trampelpfad und stapfte den Damm hinunter, um sie mir genauer anzusehen. Die Anlage hatte einen Durchmesser von knapp zwölf Metern, aber die Mauer reichte nur bis zur Taille. Das Eisentor war rechtzeitig mit einem Farbanstrich versehen worden, um es vor dem Verfall durch Rost zu bewahren, war jedoch nicht viel robuster als ein Spinnennetz. Eine Schar emsiger Meerschweinchen, die mich aus ihren Erdlöchern anblinzelten, als ich das Tor öffnete, hielt das Gehege sauber und das Gras kurz. Der Gefallene Mann war – wie unser Mitbewohner vom Dachboden – etwas Unerklärliches in einer Welt des penibel geordneten Absoluten , und seine Überreste hatte man so belassen; nichts war entfernt und nichts hinzugefügt worden, außer der Mauer und den Meerschweinchen.
    Der Stuhl und der Mann, auf der Seite gelandet, lagen flach auf dem Boden. Vom Körper des Mannes war nur noch wenig übriggeblieben. Er war längst verrottet, und die Witterung hatte die Knochen zu weißem krümeligen Staub zersetzt. Die schweren Schuhe waren fast unversehrt, ebenso sein Helm und einige Stücke der Kleidung, an denen ich hier und da ein ausgebleichtes Rot erkannte. Der Stuhl entsprach in keiner Weise dem gepolsterten Ledersessel, wie er draußen auf dem Schild vor der Teestube Zum Gefallenen Mann abgebildet war. Dieser hier war aus Aluminium, Messing und Chrom, sorgfältig und wunderschön verarbeitet, früher wohl auch angestrichen gewesen, doch Regen und Sonne hatten das angenietete Aluminium zu einem stumpfen Grau verbrannt, und obwohl der Stuhl halb im Erdboden versunken und durch den Aufprall stark verbeult war, hatte die Korrosion keine nennenswerte Wirkung

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