Grau - ein Eddie Russett-Roman
Viridian, ebenfalls eine Perpetulitstraße, allerdings zehnmal so breit wie diese hier. Sie war in Beton eingefasst und weit abgelegen von direkten Nahrungsquellen, sodass der Fahrbahnbelag aggressiv und ausnahmslos alles mit einer unglaublichen Geschwindigkeit absorbierte, was sich auf die Oberfläche verirrte, ob streunende Hunde oder Ratfinks, selbst Vögel waren nicht sicher.
»Das klingt ja wirklich gefährlich.«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Wir sind damit groß geworden. Aber das ist der Grund, warum die Binnengrenze auch wirklich eine Grenze ist. Nur sehr Dumme oder sehr Waghalsige würden versuchen, über die Fahrbahn zu laufen, selbst mit bronzebesohlten Schuhen ist es riskant. Aber ganz so schlimm ist es nicht«, fügte ich noch hinzu, »denn was uns vom Großen Südlichen Ballungszentrum fernhält, hält uns umgekehrt auch das Gesindel fern. Was ist das denn?«
Ich zeigte auf ein Paar Lederschuhe im Gras unter einem Gummibaum, auf halbem Weg zwischen der Grenze und den Markierungen. Es war ungewöhnlich, denn etwas so Wertvolles würde man niemals wegwerfen, und es konnte sie auch niemand unterwegs verloren haben, ohne es zu merken. Wir gingen hin, um die Sache zu untersuchen, und mussten feststellen, dass noch Füße in den Schuhen steckten. Die Füße gehörten zu Travis Canary, aber die Schuhe würde er nie mehr benutzen können, denn Travis war tot, vom Blitz getroffen. Nicht vom Gabelblitz, der meistens Verbrennungen hinterließ, sondern vom Kugelblitz, der das Opfer grässlich entstellte. Der Kopf war zum größten Teil verbrannt, der Körper teilweise angefressen, aber die Person war noch erkennbar. Fliegen schwirrten aufgeregt um ihn herum, und seine Hände waren bereits aufgedunsen und glänzten. Travis hatte es nicht einmal bis zu den Außenmarkierungen geschafft.
»Da wird sich Mr Turquoise aber ganz schön ärgern«, sagte Doug und rümpfte die Nase, als uns der Gestank nach verfaultem Fleisch in der Luft entgegenwehte. »Papierkram ist ihm verhasst.«
Sobald Doug losgezogen war, um Turquoise anzurufen, hockte ich mich vor den Toten, um ihn mir genauer anzusehen. Wenn man bedenkt, wie viel Zeit, Kraft und Energie wir in Blitzschutz steckten, war es nicht verwunderlich, dass dies das erste Opfer war, mit dem ich konfrontiert wurde – von den abschreckenden Fotos, die allwöchentlich im Spectrum veröffentlicht wurden, mal abgesehen.
Nur durch den Mund atmend, um den Gestank nicht aufnehmen zu müssen, spähte ich in das, was von seinem Kopf noch vorhanden war. Das Innere war schwer verbrannt, und es machte auf mich einen noch viel schlimmeren Eindruck als alles, was ich über Blitzschläge bisher gelesen hatte. Gleichzeitig war ich fasziniert und fing an, mit einem kleinen Stöckchen die Schädelhöhle zu sondieren. Ich beugte mich tiefer, führte behutsam eine Hand ein und zog einen durchgeschmorten Metallklumpen, etwa so groß wie eine Schachfigur, aus dem Kopf. Ich betrachtete ihn, aber es dauerte einen Moment, bis mir klar wurde, um was es sich handelte, und rasch wickelte ich ihn in mein Taschentuch. Ich sah mich um, denn mir fiel ein, dass Travis das Dorf mit einem kleinen Koffer verlassen hatte. Erst konnte ich ihn weit und breit nicht sehen, doch dann löste sich das Rätsel, denn die Perpetulit-Fahrbahn verlief in der Nähe, und wonach ich gesucht hatte, fand sich verstreut entlang der Bronzekante.
»Was hast du denn da gefunden?«, fragte Doug, der gerade von der Telefonzelle zurückgekommen war.
»Sieh mal«, sagte ich und zeigte zur Straße. In dem Perpetulitbelag zeichnete sich nur noch der kastenförmige Fleck ab. »Er muss sein Gepäck fallen gelassen haben. Das Leder wird absorbiert, aber das unverdauliche Zeug an den Rand abgedrängt.«
Doug bückte sich und stöberte in dem Kram. Neben den Messingverschlüssen des Koffers, den Scharnieren, Nieten und dem Namensschild fanden sich einige Münzen, Travis’ Limone-Dose, eine Gürtelschnalle, eine Sardinenbüchse, ein Teil eines Fernwahrnehmers mit einem Bild schwimmender Fische, einige Schrauben und Muttern und zwei Löffel, einer mit Gravur, der andere ohne.
»Was für eine Verschwendung«, rief Turquoise, der zwanzig Minuten später zusammen mit Carlos Fandango in dem Ford eintraf. »Wenn er schon vorhatte, sein Leben wegzuwerfen, hätte er es wenigstens für die Forschung tun können oder um die Zielvorgaben für die Altfarbensammlung zu erreichen.«
Er machte sich einige Notizen, nahm Travis’ Schuhe, die
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