Grau - ein Eddie Russett-Roman
kann dort nicht zufällig stehengelassen worden sein«, erklärte ich. »Der Perpetulitbelag entfernt allen Schutt. Ich habe es am nächsten Morgen nachgemessen.«
»Klingt zwar hochinteressant«, sagte er mit einem leichten Missfallen im Ton, »aber das scheint mir alles sehr weit hergeholt. Wirklich, Edward, ich hatte mir etwas mehr Informationen von Ihnen erhofft – etwas über den Diebstahl der Farbmuster.«
Ich hatte ihn enttäuscht. Von Jane wollte ich ihm nichts erzählen, also fütterte ich ihn mit etwas, das ihm bereits sattsam bekannt war.
»Ich glaube nicht, dass Robin Ocker sich selbst eine Fehldiagnose gestellt hat.«
»Da sind wir uns einig«, antwortete der Colormann. »Ich glaube, sein Komplize hat ihn zum Schweigen gebracht. Wissen Sie schon, wer es war?«
Er sah mich durchdringend an. Wenn ich ihm jetzt sagte, da wäre nichts, dann wusste er, dass ich log.
»Ich weiß es nicht. Noch nicht. Aber da ist noch etwas anderes.«
»Ja?«
»Ich glaube, dass Travis Canary ermordet wurde.«
Er sah mich neugierig an.
»Hängt das mit den Farbmustern zusammen?«
»Ich glaube nicht.«
»Haben Sie Beweise?«
»Eigentlich nicht.«
»Ein Motiv?«
»Darüber denke ich noch nach.«
»Einen Verdächtigen?«
»Jemand … aus den höheren Gelben Rängen.«
»Also, wissen Sie«, murmelte er etwas verächtlich. »Allmählich glaube ich, dass Sie einer von denen sind, die mit sehr wenig Mitteln sehr viel anrichten.«
Er meinte, ich sei ein Lügner.
»Jetzt mal ehrlich«, sagte er, »haben Sie noch etwas auf dem Herzen, das Sie mir sagen wollen?«
Ein dummer Zufall wollte es, dass ausgerechnet in diesem Moment Jane durch den Hintereingang das Haus betrat. Nach ihrer Miene zu urteilen, hatte sie den letzten Satz des Colormanns gehört, außerdem mussten die beiden Teetassen und unser gemütliches Beisammensitzen am Küchentisch Bände sprechen.
Ich blickte auf, und sie blinzelte zweimal. Falls sie erstaunt oder wütend war, ließ sie es sich nicht anmerken.
»Entschuldigen Sie, Eure Farbenprächtigkeit«, sagte sie mit gebührendem Respekt in der Stimme. »Störe ich? Ich wollte nur die Wäsche holen.«
Der Colormann wandte sich ihr zu. Ich glaube, er hatte sie vorher noch nie richtig wahrgenommen, geschweige denn irgendeinen Gedanken an sie verschwendet. Er lachte auf eine Art, die in meinen Augen die reine Freundlichkeit war, in Janes Augen aber wohl eher Herablassung.
»Wie heißen Sie, meine Liebe?«
»Jane, Sir.«
»Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie eine sehr hübsche Nase haben, Jane?«
Wie auf Kommando fingen ihre Augenbrauen an zu zucken.
»Die meisten Leute vermeiden das Thema«, sagte sie gedehnt. »Ich verstehe überhaupt nicht, warum.«
Umso öfter würde er ihre Nase rühmen, wenn er hier leben würde, sagte der Colormann, worauf Jane zweideutig erwiderte, dass er »mit der Zeit sicher anders darüber denken würde«. In seinem Schrank hingen ein paar Hemden, die gebügelt werden müssten, sagte er noch, und Jane nickte höflich und verließ den Raum.
Ich wollte etwas sagen, noch in Hörweite von Jane, einfach um sie zu beruhigen, doch der Colormann legte einen Finger auf die Lippen. Erst als ihre Schritte verklangen, Jane also die oberste Treppenstufe erreicht haben musste, meinte er: »Graue sind notorisch klatschsüchtig und neugierig. Also, was haben Sie mir noch zu sagen?«
»Nichts Positives, Sir. Aber ich werde meine Augen offenhalten.«
»Braver Junge. Und bitte, Ihre nächtlichen Visionen behalten Sie für sich, ja?«
Ich blieb nicht im Haus. Ich wollte Jane nicht gegenübertreten müssen, wenn sie glaubte, dass ich sie verpetzt hatte. Allerdings wollte ich auch den Schwefels nicht begegnen. Also entweder in einer Menschenmenge untertauchen oder mich im Putzschrank verstecken, das waren im Moment die beiden Optionen, die mir am sichersten erschienen.
Ich packte Travis’ persönliche Sachen zusammen und schrieb vorne auf das Paket seine Postleitzahl, weil ich annehmen musste, dass es unter seiner letzten Adresse noch Angehörige gab. Als ich das Paket am Postschalter aufgab, wurde mir ein Telegramm übergeben, das gerade für mich eingetroffen war. Constance’ Antwort auf das Gedicht von Jane.
AN EDWARD RUSSETT RG6 7GD ++ OST-KARMIN RSW ++ VON CONSTANCE OXBLOOD SW3 6ZH ++ JADE-UNTER-DER-LIMONE, GSW ++ ANFANG DER NACHR ++ MUMMY UND ICH GERÜHRT VON DEINEN POETISCHEN WORTEN ++ ENTSCHULDIGE MEINE DARSTELLUNG ROGER HABE VORSPRUNG OBWOHL NOCH KEINE ENTSCHEIDUNG
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