Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag

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überholt, die auf die Linoleumfabrik zuhielt.
    Ein Stück vor ihr hielten wir an, und nachdem die Armbrust bis zum Äußersten gespannt war, die Schnur am Schnäpper befestigt, legte Courtland den nächsten Kupferbolzen in den Schlitten, während Preston das Kabel von der Trommel wickelte.
    »Beeilung!«, schrie Courtland ungeduldig, als die Kugel mit einem Surren, das man eher fühlte als hörte, über uns hinwegschwirrte.
    Doch Preston hatte Schwierigkeiten, das Erdungskabel an den Dorn anzuschließen.
    »Schnell!«, sagte Courtland. »Hilf dem Idioten, das Kabel zu entwirren!«
    Ich sprang von der Pritsche und lief über die Weide zu Preston, der schwer mit dem Kabel kämpfte. Wenn die Sonne nicht gerade in einem bestimmten Winkel gestanden und Courtlands Schatten nicht so weit gereicht hätte, dass ich ihn aus dem rechten Augenwinkel wahrnehmen konnte, dann wäre mir das Erlebnis, von einem Yateveobaum gefressen zu werden, erspart geblieben. Ohne groß nachzudenken, wich ich nach links aus. Wieder das laute Twong! , und plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz in der Seite, als unmittelbar vor mir die Harpune im Gras versank.
    Im ersten Moment dachte ich, sie hätte mich glatt durchbohrt. Ich sah zu Preston, der, nach seiner Miene zu urteilen, offenbar das Gleiche dachte. Ich hielt inne, wagte kaum zu atmen, legte eine Hand an die Taille und tastete nach einer Wunde. Erleichtert seufzte ich auf, als ich feststellte, dass mein schnelles Ausweichmanöver Courtland den Schuss verdorben hatte – die Kupferspitze hatte mich nur seitlich gestreift und außer einer hässlichen Schnittwunde keinen weiteren Schaden angerichtet.
    »Ach du Schreck!«, rief Courtland, mit einer Dramatik in der Stimme, die ihm in jeder Stadt des Kollektivs einen Theaterpreis eingebracht hätte. »Ist dir auch nichts passiert?«
    Ich stand auf und wandte Courtland das Gesicht zu. Was war ich für ein Dummkopf gewesen, wieder mal. Ich musste noch viel lernen.
    »Du verdammter … Scheißkerl«, sagte ich. Es war das dritte Mal in meinem Leben, dass ich ein Ganz Schlimmes Wort in den Mund nahm. »Das war Absicht!«
    »Mein Lieber«, erklärte Courtland, wieder mit einer gehörigen Portion gespielter Sorge, »ein Unfall, mehr nicht! Die Jagd auf Kugelblitze ist nun mal nicht ungefährlich. Bist du auch ganz bestimmt nicht verletzt? Mir ist ganz elend vor Schreck.«
    Ich sagte nichts, nahm mein Taschentuch und drückte es auf die Schnittwunde. Die Kugel hinter uns verdampfte harmlos in der Luft, was bei diesen Blitzen häufiger vorkam. Die Jagd auf Kugelblitze war vorbei, aber die Jagd auf Eddie Russett hatte womöglich gerade erst begonnen.
    Ich führte mir die Ironie der Situation vor Augen: Courtland und Jane, die Welten voneinander trennten, vereint in ihrem Wunsch, mich loszuwerden. Manchmal war das Leben einfach ungerecht.
    »Nehmen Sie sich in Acht, Master Edward«, flüsterte Preston. »Die Schwefels werden Ihnen Hindernisse in den Weg stellen, wo sie nur können.«
    Ich starrte ihn ungläubig an.
    »Hindernisse in den Weg stellen?«, wiederholte ich.
    »Ja. Ist Ihnen auch wirklich nichts passiert? Sie sehen so … gedankenverloren aus.«
    »Außer einem lästigen Gelben Problem geht es mir eigentlich ganz gut«, antwortete ich. »Trotzdem, vielen Dank. Sie haben mir gerade den Sinn der Schubkarre erklärt.«
    Er sah mich fragend an.
    »War Ihnen der nicht klar?«
    »Bei der, die ich meine, nicht.«

Augen und der Colormann
    1.3.02.06.023: Nicht in die Sonne schauen, und wenn es noch so gute Gründe gibt.
    Ich schlenderte langsam nach Hause und verfluchte mich die ganze Zeit wegen meiner Blödheit. Nicht nur, weil ich mich mit der unangenehmsten Familie im Dorf angelegt hatte, sondern auch, weil ich nicht die Gelegenheit genutzt hatte, mich im entscheidenden Moment mit ihr zu arrangieren. Ich ging sogar so weit, mich zu fragen, ob vielleicht irgendwas mit mir nicht stimmte, ob irgendwas Krankes in meinem Kopf war, das sich nach meiner eigenen Vernichtung sehnte. Erst Jane, jetzt Courtland.
    Zu Hause wusch ich die Schnittwunde mit Wasser aus, so heiß, wie ich es eben aushalten konnte, und legte dann in Essig getränkte alte Zeitungen auf die Stelle. Ich setzte mich auf den Badewannenrand und überdachte meine Lage. Sally Schwefel oder Courtland, möglicherweise auch beide, hatten aus mir unbekannten Gründen Travis getötet. Schon allein das war unglaublich, und abgesehen davon, dass ich das Wissen für mich behielt, wusste ich