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Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
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Ruinen von Hoch-Safran verbargen. Courtland und Tommo mochten zwar Zyniker sein, aber ich glaube, auch sie waren schwer beeindruckt, und wir drei blieben stehen und nahmen den Ausblick in uns auf.

Der Flakturm
    2.5.03.02.005: Allgemein gesprochen: Wenn man mit etwas herumspielt, zerbricht es. Also lass es bleiben.
    Mindestens dreimal in meinem Leben war ich schon am Meer gewesen, aber noch nie hatte ich eine so schöne Küste gesehen wie die, welche sich an diesem Nachmittag vor meinen Augen erstreckte. Die Landschaft war gesprenkelt mit den Schatten der träge am Himmel dahinziehenden Wolken, und die sonnenbeschienenen Stellen hoben auf markante Weise die Sehenswürdigkeiten des Ortes hervor, besser als jeder Reiseführer. Die Stadt schmiegte sich behaglich an die Ufer eines langen Meeresarms, der in eine Bucht auslief, in der mehrere verlassene Schiffe vor Anker lagen. Das größte war ein Wasserfahrzeug mit einem flachen Deck, das heute als künstlicher Wellenbrecher diente. Das schräg liegende Deck, ganz weiß von Vogelmist, und der vor sich hin rostende Rumpf hatten die Wasserdynamik der Bucht so dramatisch verändert, dass der Bereich zwischen Schiff und Küste zunächst versandet und jetzt trockenes Land war.
    Von der Stadt an sich war von unserem Standpunkt aus nicht viel zu sehen. In einem kreisförmigen Band aus verschiedenfarbiger Vegetation erkannten wir die Reste einer Umgehungsstraße, und eine einzelne Brücke war noch da, die über den Fluss führte. Die eigentliche Stadt lag versteckt im Blätterwerk des dichten Waldes, aus dessen grünem Baldachin nur noch wenige Gebäude herausragten. Die abseits gelegenen Gewerbe- und Wohngebiete waren als schwache Gittermuster unterschiedlicher Bäume und Büsche auszumachen, und offenbar gab es zwei Straßen, eine Richtung Osten, die andere Richtung Norden, doch von weiten offenen Flächen, auf die Amaranth gehofft hatte, war nichts zu sehen.
    »Wir haben noch gut vier Stunden Fußmarsch vor uns«, sagte ich, die Entfernung schätzend. »Etwas weniger, wenn wir das in die Stadt führende Anschlussstück der abgespaltenen Perpetulitbahn wiederfinden. Fünf Minuten Pause.«
    »Für uns zehn Minuten«, sagte Courtland und trabte zusammen mit Tommo zum Flakturm. Das auf solchen Exkursionen gefundene Wertgut durfte man als persönlichen Besitz betrachten, auch wenn es zu Hause nur fünfzig Prozent des eigentlichen Wertes einbrachte. Nicht gerade viel, dazu hätte man mit einer Schubkarre anrücken müssen, dann hätte es sich vielleicht gelohnt. Aber für ein, zwei Scones im Gefallenen Mann reichte es.
    Ich schaute mich um und hielt das Gesehene in meinem Notizbuch fest. Jeder Zufahrtsweg zu dem sechsgeschossigen Flakturm wurde durch einen großen grasbewachsenen Erdhügel versperrt. An einer Seite lag ein nahezu durchgerosteter Bulldozer, fußtief im Boden versunken. Dahinter, wild durcheinander, eine Ansammlung Fahrzeuge, die wie Güterwaggons aussahen, und wieder einige Planierraupen, alle im mittleren Stadium der Verrostung und eingesponnen von Sträuchern, Nesseln sowie wildem Weißdorn und Holunder. Der Turm war identisch mit dem in Ost-Karmin, außer dass hier die schmalen Fensterrahmen aus Bronze noch nicht demontiert waren. Es war einer von insgesamt acht Türmen, wie ich erkennen konnte, die die Stadt an den höchsten Punkten wie ein Ring umgaben. Der Abstand zwischen ihnen wurde, so schien es, durch eine Reihe Stahlmasten, mindestens sechs Meter hoch und in Abständen von fünfzehn Metern in die Erde gesetzt, überbrückt. Ich ging zu dem nächstgelegenen Mast und sah, dass er teilweise noch mit Draht umwickelt war, und Glasisolatoren, ähnlich denen an Telefonmasten, waren mit Bolzen am Stahl befestigt.
    Janes Rat, nicht weiter als bis zum Flakturm zu gehen, fiel mir wieder ein. Da sie ganz sicher gewesen war, dass sich hier ein Flakturm befand – Amaranth hatte diese Gewissheit nicht –, musste man annehmen, dass sie wusste, wovon sie sprach. Für heute hatten wir sowieso genug getan. Ich würde mir ausführliche Notizen über die Beschaffenheit der Landschaft machen, danach würden wir zurückkehren, den Fund des Magenta-Baums melden und die Expedition an einem anderen Tag fortsetzen. Kein Geld, kein Ruhm und vermutlich ein enttäuschter Rat, das würde uns blühen. Aber ich redete mir ein, dass ich meine Rolle als Gruppenleiter ernst nahm.
    Ich nahm den gleichen Weg zurück zum Turm, den ich gekommen war, und hörte jetzt die Stimmen von Courtland

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