Grau - ein Eddie Russett-Roman
Dorfes aufs Spiel zu setzen.
»Immer mit der Ruhe«, murmelte ich. »Bist du ganz sicher, dass du jemanden gesehen hast, Tommo?«
Er atmete schwer, sah uns beide abwechselnd an und zuckte dann mit den Schultern.
»Vielleicht waren es auch nur Alpakas«, antwortete er. »Ja, doch, es müssen Alpakas gewesen sein.«
»Dann gehe ich jetzt weiter«, sagte ich. »Was ist mit euch beiden?«
Courtland gab Tommo einen Klaps auf den Hinterkopf.
»Idiot! Ja, ich komme mit – und unser Weichei auch.«
Ich schrieb in mein Notizheft, Tommo habe angeblich ein menschliches Wesen gesehen, notierte die Uhrzeit dazu, riss die Seite heraus und legte sie wie zuvor schon unter einen kleinen Haufen aus Steinen. Das Gleiche hielt ich noch mal in meinem Logbuch fest, dann setzten wir unseren Weg fort, unsicheren Schrittes diesmal, mit häufigem Blick über die Schulter.
Nach etwa zehn Minuten hatten wir den Gipfel des Berges erreicht und betraten eine Art Buchenhain. Kletterpflanzen rankten sich um die Äste, und gelegentlich versperrte uns ein moosbedeckter umgestürzter Baum den Weg. Seltsam, wenn man bedenkt, dass wir gerade mal zwei Stunden Fußmarsch vom Dorfzentrum entfernt waren, und hier dieser Ort, den seit fast fünfhundert Jahren niemand mehr betreten hatte, dabei konnte man ohne weiteres hin und zum Mittagessen wieder zurück sein, wenn man es darauf angelegt hätte. Der Aufenthalt im Außenfeld war spannend, aber konnte einem auch Angst machen. Mein Herz schlug schneller, und bei jedem Geräusch spitzte ich die Ohren.
Nach weiteren zwanzig Minuten leichten Gehens über eine grasbewachsene Ebene, bei dem uns nur Giraffen, Elche und Rotwild Gesellschaft leisteten, betraten wir, neben der nächsten Planierraupe, ein kleines Dickicht, schlugen uns durch und gelangten auf der anderen Seite wieder ins Freie, wo wir abrupt stehenblieben.
»Munsell im Kanu«, flüsterte Tommo.
»Was soll das denn hier?«, sagte Courtland. »Ich meine, warum sollte man hier eine Leitung verlegen, die von nirgendwo kommt und nirgendwo hinführt.«
»Woher soll ich das wissen?«
Vor uns erhob sich eine stattliche Eiche, aber der Baum war nicht wie üblich eintönig grau, dieser hier war purpurn, hell und univisuell. Rinde, Blätter, Eicheln, Äste, sogar das Stück Gras auf dem Boden ein sattes Magenta. Wir starrten ihn lange an, keiner von uns hatte jemals etwas so Großes in einer so unpassenden Farbe gesehen. Es handelte sich hier um einen Chromoklasmus, einen Bruch in der Magenta-Röhre der CYM -Farbeinspeisung. Die Farbmischung hatte den Boden durchtränkt und Äste und Laubwerk eingefärbt. Niemand kannte den exakten Verlauf von Farbleitungen, NationalColor wollte es so, zum einen, weil man Angriffe von Seiten monochromatischer Fundamentalisten befürchtete, zum anderen, weil einige Dörfer sonst kostspielige Abzweigungen gefordert hätten.
Courtland hatte recht, es ergab trotzdem keinen Sinn. Wir befanden uns hier nicht auf einer etablierten Route von A nach B, es ließ sich ja nicht einmal sagen, in welche Richtung sie verlief. Aber es sah ganz so aus, als hätten wir die undichte Stelle gefunden, nach der der Colormann gesucht hatte.
»Gut, dass Violetta nicht hier ist«, sagte Tommo. »Bei dieser leuchtenden Farbe hätte sie sofort Kopfschmerzen gekriegt, und ihr wisst ja, wie eklig sie sein kann, wenn sie Kopfschmerzen hat.«
»Was ist denn das da?«
»Was?«
Courtland antwortete nicht, ging stattdessen durch das Purpurgras und hob einen menschlichen Oberschenkelknochen auf, der dort lag. Auch der Knochen hatte die Magentafarbe angenommen. Courtland sah sich um und fand einen weiteren Knochen, die linke Hälfte einer Hüfte. Er schlug sie gegeneinander, und es ergab den dumpfen Klang der Knochen frisch Verstorbener, nicht das helle Klicken alter toter Gebeine.
»Was schätzt du, Court?«
»Ein paar Jahre.«
Jetzt schauten wir uns alle drei um, suchten nach einem Hinweis, woher die Knochen stammten oder wer der Tote war, aber offenbar waren die Knochen weitläufig von Tieren verstreut worden. Einen Schädel entdeckten wir auch nicht, dafür fand ich einen einzelnen Straßenschuh, eine Gürtelschnalle und einen Zelluloidkragen, darin eingraviert eine Postleitzahl und ein Name: Thomas Smaragd. Courtland und Tommo kannten ihn jedoch nicht.
»Hierher haben sich viele Rebooter verirrt«, sagte Tommo. »Sie sind nie lange genug bei uns geblieben, dass man sich ihre Namen gemerkt hätte.«
»Der hier hatte drei Löffel dabei«,
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