Grau - ein Eddie Russett-Roman

sagte er weiter, klaubte sie aus dem Erdboden und rieb den Purpurdreck ab, um die auf der Rückseite eingravierte Postleitzahl entziffern zu können, »aber keiner passt zu ihm. Was meint ihr, sind die Postleitzahlen registriert?«
    »Wenn sie frei sind, stellen sie ein kleines Vermögen dar«, sagte Courtland. »Zeig mal her.«
    Tommo gab sie ihm, und Courtland steckte sie in die eigene Tasche und grinste.
    »Wirklich ein feiner Zug von dir, Court«, sagte Tommo. »Vielen Dank auch.«
    »Warum sollte er auf eine Wertgutsammeltour Löffel mitnehmen?«, fragte ich.
    »Vielleicht hat er sie gar nicht mitgenommen«, bemerkte Courtland mit einem habgierigen Leuchten in den Augen. »Vielleicht hat er sie in Hoch-Safran aus der Erde gebuddelt.«
    Wir sahen uns an und gingen weiter.
    Als Nächstes kamen wir an einen Fluss, wateten hindurch und passierten die Brücke mit den fünf Bögen, über die früher die Fahrbahn verlaufen war und die jetzt irgendwie nutzlos auf einer grasbewachsenen Bodenrinne herumstand. Die Angst, die wir alle gemeinsam empfanden, hatte die schlechte Stimmung zwischen uns vorübergehend vertrieben, und eine Zeitlang gingen wir nebeneinanderher und unterhielten uns.
    »Und?«, sagte Tommo gewollt jovial. »Wie war es denn so mit Violetta?«
    »Genau so, wie man sie sich vorstellt.«
    »Ihh!«
    Es war Courtland, der aussprach, was uns wirklich bewegte.
    »Warum haben wir Thomas Smaragds Schädel nicht gefunden?«
    Abrupt blieben wir stehen und sahen uns nervös um. Der unsägliche Horror, wir könnten getötet und unser Gehirn von Gesindel gefressen werden, machte uns schreckhaft. Sosehr wir uns auch anstrengten, es war nur leere Landschaft um uns herum, Bäume, Wildtiere und Grasland, und außer dem gelegentlichen Boing-Boing einer Sprungziege war es auch still, bedrückend still. Wir waren vollkommen allein, jedenfalls hofften wir das.
    »Also gut«, sagte Tommo, nachdem ich Befehl gegeben hatte weiterzugehen, »was machen wir, wenn wir auf Gesindel stoßen?«
    »Wegrennen«, sagte ich.
    »Angreifen«, sagte Courtland.
    »Dein Angriffsplan ist gut«, sagte Tommo. »Dann sind sie mit dir beschäftigt, und Ed und ich können in Ruhe die Flucht-Strategie durchziehen.«
    Wir wanderten durch ein Buchenwäldchen, das üppig über der alten Trasse wucherte, kamen danach an einige grasbewachsene Erdwälle, dann zu ein paar mit Dornensträuchern zugewachsenen Gruben und schließlich an einen tiefen Graben, der rechts und links von uns im Zickzack verlief. Am Rand der offenen Heide machten wir kurz Rast und sahen die Straße entlang, die von hier aus in schnurgerader Linie verlief, bis sie jenseits des nächsten Gipfels abtauchte. Es war der einsamste Abschnitt der Route, ein drei Kilometer langes Teilstück ohne jede Unterstellmöglichkeit. Ich blickte zum Himmel, um mich zu vergewissern, dass so bald kein Blitzschlag drohte, und marschierte dann zügig los.
    Der Straßenverlauf war dank des flachen Profils und der beiden grasbewachsenen, etwa zehn Meter auseinanderliegenden Wulste am Rand – früher vielleicht mal Mauern – jetzt wieder leichter auszumachen. Hier oben sah die Landschaft anders aus, da die Straße von einigen großen Kratern unterbrochen war, manche mit Wasser gefüllt, die natürliche, von Tau- und Kondenswasser gespeiste Teiche hätten sein können, wäre da nicht ihre einheitlich kreisrunde Form gewesen. Hier und da ragten verrosteter Schrott oder verbogene Aluminiumteile aus der Grasnarbe, wie metallische Kornähren, die niemand sich die Mühe gemacht hatte zu ernten. Wenn wir uns den Herden näherten, die vereinzelt über das Weideland zogen, dann trieben sie träge auseinander, um uns durchzulassen, und zeigten nur allergeringste Neugier. Es war ein gutes Zeichen, da sie sonst leicht zu erschrecken sind; man weiß, dass Gesindel die Tiere tötet, und isst. Ich entdeckte sogar eine Antilope, eine Art, die ich noch nie vorher gesehen hatte. Sie war von einer dunklen, rötlichen Färbung mit Streifen an den Vorder- und Hinterbeinen, Letztere dienten praktischerweise auch als Stelle für den Streifencode, und ich merkte mir so viel wie möglich von der Taxanummer, bevor das Tier wieder abdrehte.
    Schweigend marschierten wir weiter, eine gute Dreiviertelstunde lang, bis wir auf das erste richtige Bauwerk seit unserem Aufbruch von Ost-Karmin stießen: den Flakturm. Gebieterisch erhob er sich am Rand eines Steilhangs, von dem aus man in das fruchtbare Tal hinabblickte, in dem sich die