Grau - ein Eddie Russett-Roman
gewesen.«
»Über so etwas macht man keine Witze.«
»Entschuldigung.«
Ich wollte sie küssen, aber die Leute guckten schon, und Verbrüderung zwischen Komplementärfarben war nicht nur strafbar, sondern ein striktes Tabu. Ich hatte eine Stellung einzunehmen, und Jane und ich hatten einen gemeinsamen Plan. Wir hatten sogar eine gemeinsame Zukunft, nur keine als verheiratetes Paar.
»Du musst jetzt gehen«, flüsterte sie, »aber lass heute Abend dein Fenster offen stehen.«
»Willst du zu mir kommen?«
»Nein. Du kommst zu uns. Es wird Zeit, dass du einige Leute kennenlernst.«
Ich nickte ihr unmerklich zu, räusperte mich und stand auf.
»Vielen Dank, Miss … ?«
»Brunswick.«
»Vielen Dank, Miss Brunswick«, sagte ich laut und vernehmlich, da sich bereits eine kleine Schar Neugieriger versammelt hatte, um zu sehen, wie die Edward/Jane-Affäre ihrem Ende zutrieb. »Wollen Sie mich von meinem Versprechen entbinden?«
»Ich entbinde Sie«, antwortete Jane hochoffiziell, »und ich danke für Ihr Interesse.«
Wir verbeugten uns knapp und reichten uns die Hand. Ich entfernte mich rasch, doch umgehend krallte sich Mrs Schwefel meinen Arm und entführte mich unsanft, weg von der Menge.
»Glauben Sie ja nicht, ich wüsste nicht, dass Sie ihn getötet haben«, fauchte sie mich wütend an. »Ich werde mich rächen. Nicht nur an Ihnen, sondern auch an dieser dummen Grauen.«
»Sie ist eine Grüne.«
»Innerlich wird sie immer eine Graue bleiben, Russett. Ich werde schon einen Beweis finden. Und wenn ich persönlich nach Hoch-Safran gehen müsste.«
»Bitte sehr«, antwortete ich. »Aber Sie irren sich. Courtland ist bei dem Versuch, mich zu retten, umgekommen.«
»Das ist der Schwachpunkt Ihrer Geschichte. Ich kenne meinen Sohn. Er hätte nie auch nur einen Finger für Sie gekrümmt.«
Ein stichhaltiges Argument, das hatten wir nicht bedacht. Jane und ich mussten unsere Lügenmärchen in Zukunft besser durchdenken.
»Sie widern mich an«, fügte Schwefel noch hinzu. »Ich werde mein Leben daran setzen, Sie zu vernichten.«
»Das werde ich ebenfalls«, sagte ich und beugte mich ein Stück vor. »Ich werde die Umstände von Travis’ Tod aufs Genaueste untersuchen. Vielleicht sollten wir morgen im Rat auch mal darüber sprechen, dass Penelope zufällig am selben Tag eine Postleitzahl zugeteilt bekommen hat.«
Sie klimperte vor Empörung ein paarmal mit den Wimpern und schob die Lippen vor, aber sie sagte nichts weiter und ging. Das Seltsame war, dass mich ihre Attacke völlig kalt ließ. Ich war nicht einmal ins Schwitzen gekommen. Präfekt zu sein konnte vielleicht doch ganz angenehm werden.
Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge und ging zu meinem Vater.
»Dad? Wir machen es, wie du sagst.«
Von der Malve
5.6.12.03.026: Offene Rückfahrkarten dürfen weder beanstandet noch annulliert werden.
Violetta hatte mit achtundzwanzig Prozent Rot und siebenundfünfzig Prozent Blau abgeschnitten, was sie knapp zu einer Purpurnen machte und ihr das Recht gab, später Oberpräfektin zu werden. Sie freute sich sehr, als sie von meinem Vater erfuhr, welche Wende sich in meinem Fall ergeben hatte. Sie brach sofort mit Doug, sehr zu dessen Erleichterung, war aber immerhin so anständig, Janes und mein Pech nicht weiter zu kommentieren. Wir saßen nebeneinander auf dem Sofa in von der Malves Wohnzimmer, ihr Haus war eines der größten am Marktplatz. Sie hatten zwei Hausangestellte, drei Tizians, und in ihrem Haus fand sich kein Fleckchen synthetisches Purpur. Sie hatten eine gewisse Klasse, übertriebene Zurschaustellung ihres Farbtons war nicht ihre Sache.
Mein Vater war da, und er hatte mit Mrs von der Malve gesprochen, die über die Entwicklung der Ereignisse mindestens so froh und erleichtert war wie Violetta.
»Noch etwas Tee?«, fragte Violetta.
»Nein, danke.«
Die Tür öffnete sich, und von der Malve trat ein. In dem Moment war mir klar, dass er den Colormann bestochen hatte, denn er hatte ein so versonnenes Lächeln im Gesicht wie jemand, der einen Joker gezogen hatte.
»Na?«, sagte er zu meinem Vater. »Wie ich gehört habe, ist es doch nicht so ausgegangen wie erwartet.«
Mein Vater erklärte, sein Sohn sei dank »unvorhergesehener Ereignisse« wieder frei, und er fragte von der Malve, ob er willig und bereit sei, seine Tochter für ein eheliches Arrangement freizugeben.
»Zum verabredeten Preis?«, wollte er wissen.
»Ja«, sagte Dad.
»Nein«, sagte ich.
»Anscheinend kann sich Ihr Sohn
Weitere Kostenlose Bücher