Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grau - ein Eddie Russett-Roman

Grau - ein Eddie Russett-Roman

Titel: Grau - ein Eddie Russett-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eichborn-Verlag
Vom Netzwerk:
kehrte zurück an seine Arbeit. Tommo griff mich am Arm und geleitete mich zur Tür.
    »Das ist ja ganz gut gelaufen«, sagte Tommo auf dem Rückweg zum Dorf. »Obwohl, eine Spur unterwürfiger hättest du schon sein können.«
    »Ich werde es mir merken.«
    »Dickkopf. Du wirst es nicht bereuen, wenn du uns ein bisschen aushilfst. Jedem, der bereit ist, mitzuspielen im System, stehen alle Türen offen.«
    »Oh, ehe ich es vergesse«, fügte er noch hinzu und schnippte mit dem Finger. »Wenn du deine Klauen schon mal in den Mustersafe deines Vaters steckst – kannst du mir etwas 7–85–57 ausleihen?«
    Er meinte Rotlax, ein spektral übergreifend und umgehend wirkendes Laxativ von unerhörter Stärke. Ein Sekundenblick, und man rannte zum nächsten Donnerbalken, als liefe man um sein Leben.
    »Bei Problemen mit Magenentleerung«, vertraute ich ihm an, »kannst du ruhig meinen Vater konsultieren.«
    »Es ist nicht für mich«, sagte Tommo lachend. »Ich will von der Malve damit einen Streich spielen, es ihm in sein Exemplar der Harmonie legen, wenn er uns auf der nächsten Versammlung wieder langweilt.«
    Ich war sprachlos. Das konnte er nur im Scherz meinen. Kein Mensch würde sich so etwas trauen.
    »Es – äh – bedürfte nicht allzu viel Intelligenz, herauszufinden, woher das Rotlax stammt.«
    »Um die Folgen eines Streichs mache ich mir keine Sorgen. Eher darum, dass er auch klappt«, fasste Tommo seine Weltsicht in zwei knappen Sätzen zusammen.
    Unterwegs trafen wir auf eine Gruppe Mädchen, die gerade von ihrer Schicht in der Linoleumfabrik kamen. Alle trugen Latzhosen und hatten ihr Haar mit Karotüchern zusammengebunden; sie schwatzten und lachten ausgelassen.
    »Guten Abend, die Damen«, begrüßte Tommo sie freundlich.
    »Guten Abend, Master Thomas«, sagte die Größte der Gruppe, ein attraktives gertenschlankes Mädchen, das den Knoten im Tuch löste und seine prächtigen Locken schüttelte. »Wer ist denn der Neuling?«
    »Das ist Master Edward Russett, Melanie. Er kommt aus irgendeinem schrecklichen Kaff an der Binnengrenze. Er hat Skrupel, macht eine Stuhlzählung und hat das Letzte Kaninchen gesehen.«
    »Wie sieht es aus?«, flötete die Jüngste aus der Gruppe, ein kleines Mädchen mit Zöpfen und einem Muttermal auf der Wange.
    »Na ja, so wie … Kaninchen eben aussehen.«
    »Kannst du mir ein Bild malen?«
    »Ich kann dir mit den Händen eine Schattenspielfigur zeigen.«
    »Also Stühle, Kaninchen und Skrupel, ja?«, gurrte die Große. Sie trat auf mich zu und zog frech an meiner Krawatte. »Eine leicht entzündliche Mischung.«
    Sie war unerträglich vorlaut. In Jade-unter-der-Limone waren die Mädchen zurückhaltend und höflich, und ich spürte, wie mir heiß wurde.
    Ich wollte seriös erscheinen. »Tommo schätzt mich völlig falsch ein.«
    »Ach ja? Dann hast du also gar keine Skrupel?«, sagte das Mädchen, das Melanie hieß, mit leiser Stimme und strich mit dem Handrücken über meine Wange. Ihre Gefährtinnen kicherten und glucksten. Es war mir peinlich, aber ich empfand auch eine stille Freude; Melanies Berührung war warm, beinahe zärtlich. Constance hatte sechseinhalb Mal meine Hand gehalten, den Tanztee nicht mitgezählt, doch meine Wange hatte sie noch nie berührt – es sei denn, man rechnete das eine Mal hinzu, als sie mir eine Ohrfeige gab, weil ich gewagt hatte zu sagen, ihre Mutter habe wohl »ein kleines Problem mit Höflichkeit«.
    »Nein«, stammelte ich verlegen und hätte beinahe den Boden unter den Füßen verloren, »ich meine, doch … «
    »Gib kurz Bescheid, wenn er sich entschieden hat, ob er nun Skrupel hat oder nicht, Tommo«, trällerte Melanie und wandte sich von mir ab. Meine Demütigung war komplett, alle brachen in schallendes Gelächter aus.
    Ich fühlte mich nicht wohl in meiner Haut, aber das freie, ungezwungene Lachen der Mädchen war das Wunderbarste, was ich je gehört hatte. Doch sie hatten das Interesse an mir verloren, fingen wieder an zu schwatzen und setzten ihren Weg Richtung Graue Zone fort.
    »Wenn du eine dieser reizenden Damen mal privat kennenlernen willst, lässt sich das gegen fünf Prozent Beraterhonorar arrangieren«, sagte Tommo, als wir den Mädchen hinterherschauten. »Willst du mal ihre inoffiziellen Feedback-Bewertungen sehen?«
    Ich starrte ihn an. Was sollte ich dazu sagen? Dass in Jade-unter-der-Limone ein verbotener Markt für DasEine existierte, war mir bekannt. Der Alte Magenta hatte zwar ein wachsames Auge auf das

Weitere Kostenlose Bücher