Grau - ein Eddie Russett-Roman
Geschehen, aber gut möglich, dass sich alle fröhlich DemEinen hingaben. Doch dass so jemand wie Tommo – obwohl, eigentlich konnte es nur so jemand wie Tommo sein – nicht nur in der Lage war, so etwas zu arrangieren, sondern dass er es auch ganz unverhohlen machte, scheinbar ohne Bestrafung befürchten zu müssen, darauf war ich nicht vorbereitet. Das erklärte auch seinen Barbestand an Meriten.
»Nur nicht mit einer Komplementärfarbe«, ergänzte er, falls ich irgendwie abartig veranlagt war. »Ich lebe zwar teilweise in einem Regelfreiraum, doch auch ich besitze ein gewisses Maß an Anstand. Wenn du keine Lust auf DasEine hast«, fuhr er fort, sicherlich den Ausdruck empörter Ablehnung auf meinem Gesicht registrierend, »für einen Schmusetanz oder einen Lambada ganz privat sind sie immer zu haben.« Nach kurzem Überlegen fügte er noch hinzu: »Nur bei Jane kann ich dir nicht weiterhelfen. Und die schöne Melanie kannst du gleich ganz vergessen, der hat Courtland sein Versprechen gegeben.«
»Courtland kommt mir nicht gerade wie ein Gelber vor, der zu so etwas Ehrenwertem fähig wäre. Eine Graue aufwerten, wo doch Bunty McMostrich schon in den Startlöchern steht.«
Tommo lachte.
»Natürlich zieht er das nicht bis zum Ende durch, Blödmann. Courtland hat mir gesagt, Melanie würde alles für ihn tun. Alles. Und es kostet ihn rein gar nichts. Er weiß, dass Bunty bis in alle Ewigkeit auf ihn warten wird. Und wenn der Rat beschließt, dass mehr Gelbe gebraucht werden, stößt er Mel eben ab.«
»Nein«, murmelte ich schockiert.
»Ganz schön verwegen, was?« Tommo war der gleichen Meinung. »Willst du es auch mal ausprobieren?«
»Niemals! Das ist das Widerlichste und Übelste, was man jemandem antun kann, ganz zu schweigen davon, dass man dabei mindestens acht Regeln verletzt – sogar Grundregel Nummer eins. Und was will er machen, wenn das herauskommt?«
Tommo zuckte mit den Schultern.
»Vermutlich alles abstreiten. Wem wird man eher glauben? Melanie Nobody oder dem zukünftigen Gelben Präfekten Courtland ›Big Banana‹ Schwefel?«
»Dann werde ich es eben sagen.«
»Warst du dabei, als er ihr die Ehe versprochen hat?«
»Nein.«
»Dann wach endlich auf, Schwachkopf. Die Grundregeln kannst du hier streichen. Regel Nummer eins, was Courtland betrifft, lautet: nicht einmischen! Denk immer daran: Courtland wird eines Tages Gelber Präfekt sein. Konzentrier dich darauf. Es wird dir das Leben hier enorm erleichtern, das kann ich dir sagen. Also, was ist? Kann ich dich mit jemandem zusammenbringen?«
»Nein, danke.«
»Wenn du dich anders entscheidest … «
»Nein. Was würden die Präfekten sagen, wenn sie erfahren, dass du mit DemEinen makelst?«
Tommo starrte mich an, unempfänglich für die implizierte Drohung. Er beugte sich ein Stück vor und flüsterte: »Ich bringe doch nur den Käufer zum Markt. Und ich habe einen breiten Kundenstamm. Einen sehr breiten Kundenstamm. Wie hätte es so ein Verlierer wie ich wohl sonst zum Roten Junior-Aufseher gebracht? Du musst das locker sehen. Wenn du dein steifes Getue ablegst, kannst du dir hier ein schönes Leben machen.«
»Und die Regeln?«
Er lachte.
»Wir sind hier in der Randzone, Eddie. Hier draußen sind die Regeln elastisch wie Gummi. Aber jetzt musst du mich bitte entschuldigen. Ich muss noch ein paar Sandwiches für Ulrika besorgen.«
»Ulrika?«
»Von der Flak«, erwiderte er, als würde das alles erklären.
Das Colorium
2.1.03.01.115: Alle Reisen jenseits der Außenmarkierungen müssen vom Präfekten oder Senior-Aufseher genehmigt werden.
Es war mittlerweile halb fünf, und die meisten Chromatiker kehrten von der Arbeit heim, um sich zu Hause ihren Hobbys zu widmen oder einfach nur in geselliger Runde beisammen zu sein. Für die Grauen wurde es Zeit, zu ihrem dritten Job aufzubrechen. Jane weiter auszufragen, es wenigstens zu versuchen, dazu würde ich erst kommen, wenn sie uns das Abendessen kochte. Ich war immer noch völlig von ihr eingenommen. Gleichzeitig musste ich auch immer an Jabez denken, der sie gefragt hatte, ob sie mit ihm ausgehen wolle, und daran, wie schmerzhaft es sein musste, eine Augenbraue zu verlieren.
Das Colorium meines Vaters befand sich zwei Häuser neben dem Rathaus, eingequetscht zwischen der Post und dem Co-op. Ein Glöckchen schlug an, als ich die Tür öffnete, und ich stand gleich mitten in dem geräumigen Wartezimmer. Es war voller Dorfbewohner, die entweder in alten zerlesenen Ausgaben des
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