Grau - ein Eddie Russett-Roman
Grünlichtbestrahlung zu beenden, schwebte man bis dahin auf einer Wolke, erwischte man ihn nicht, taugte man nur noch für den Ausschmelzer.
»Vortäuschung einer Todesursache?«, murmelte ich. »Darauf allein stehen schon fünftausend Demeriten!«
Dad zuckte mit den Achseln, und ich überlegte einen Moment.
»Die Regeln sind hier ziemlich weit auslegbar, oder?«
»Das ist fast überall so, Eddie, wenn du genauer hinschaust – was ich nicht empfehle.«
»Du hast recht«, sagte ich und dachte an Jane. Am besten erwähnte ich das Thema Falschkennzeichnung gar nicht mehr.
»Ockers Frau und seine Tochter werden ihres Lebens nicht mehr froh«, ergänzte er. »Der Rat hat sie zwar von aller Schuld im Zusammenhang mit dem Musterdiebstahl freigesprochen, aber gleichwohl, es wird ihnen Komplizenschaft und was weiß ich noch was unterstellt. Der Nächste bitte!«
Die Tür ging auf, und ein Grauer kam herein, er hatte wässrige Augen und hielt ein Taschentuch in der Hand. Er war ein Senior und ging gebeugt, entweder durch schwere Arbeit auf dem Feld oder durch schwere Arbeit in der Fabrik, jedenfalls durch Arbeit. Man brauchte keine sechsjährige Ausbildung zum Chromatikologen, um zu erkennen, wo das Problem war.
»Sie haben Schnupfen, Mr G67«, sagte Dad freundlich. »Der grassiert hier momentan. Leider gibt es gerade Schwierigkeiten mit dem Großen Mustersortiment, deswegen habe ich gar nichts für Sie da. Eine Woche Bettruhe.«
Der Graue schien trotzdem ganz zufrieden mit der Therapie und gab meinem Vater sein Meritenbuch.
»Sagen Sie, Mr G67«, setzte mein Vater an, während er die Seiten mit der Liste der bisherigen Beschäftigungsverhältnisse und dem Feedbackstand durchging, »leiden Sie in letzter Zeit unter schweren Beinen?«
»Nein, Sir.«
»Das möchte ich Ihnen aber dringend empfohlen haben.«
»Ja, Sir«, antwortete der Mann gehorsam. »Seit einigen Jahren ist es wirklich ganz schlimm mit den Beinen. Manchmal komme ich morgens gar nicht aus dem Bett.«
»Genau wie ich mir gedacht habe«, sagte mein Vater. »Ich verordne Ihnen noch mal zusätzlich drei Wochen und vier Tage Bettruhe. Und das hier nehmen wir ab.«
Dad entfernte das »Simulant«-Etikett vom Revers des Grauen, das sicherlich Sally Schwefel dort angeheftet hatte.
Das müde Gesicht des Mannes verzog sich zu einem Lächeln. Er dankte meinem Vater überschwänglich und trottete aus dem Raum.
»Schwere Beine?«, fragte ich.
»Bis zur Rente fehlt ihm ein knappes halbes Prozent zur Erfüllung seiner Zivilen Verpflichtung«, murmelte mein Vater. »Er sieht aus, als hätte er es verdient, früher aufzuhören.«
»Eigentlich ist das doch verboten, oder?«
Dad wischte meine Bedenken beiseite.
»Eigentlich ja. Aber die Grauen haben sich unter den Schwefels halb zu Tode geschuftet, und wenn es in meiner Macht steht, ihnen eine Ruhepause zu verschaffen, dann tue ich es mit Freuden.«
»Willst du alle Patienten mit Schnupfen arbeitsunfähig schreiben?«
»Nein. Ich besorge mir morgen etwas 196–34–44. Damit ist die Epidemie im Handumdrehen besiegt.«
Robin Ocker sei Mustermann für zwei Dörfer gewesen, erklärte mein Vater, und habe eine Zweigstelle betrieben, ein Colorium, das mit dem Kleinen Mustersortiment von etwa zweihundert Farbkarten ausgestattet gewesen sei. Es befinde sich in Rostberg.
»Der Nächste bitte!«
Ein junges Blaues Mädchen kam herein, das sich ein blutgetränktes Tuch an eine Hand presste. In dem ansonsten farblosen Dorf wirkte das Blut ungebührlich grell.
»Guten Tag!«, sagte sie munter. »Ich glaube, ich habe mir in den Finger geschnitten.«
»Eigentlich sogar in zwei«, sagte mein Vater, als er die Wunde untersuchte. »Sie sollten vorsichtiger sein.«
Die Neigung der Blauen zu zwei linken Händen interessierte mich im Moment nicht. Ich dachte an Robin Ockers zweite Praxis. Der Name Rostberg hatte sich mir fest eingeprägt, denn dort hatte der Graue Falschgekennzeichnete gelebt.
»Du willst also nach Rostberg?«, fragte ich, durch die Chance, die sich mir plötzlich eröffnete, neugierig geworden.
»Ja«, sagte er und suchte einen sehr dünnen Faden und eine Nadel aus.
»Hat Ocker die Muster aus seiner zweiten Praxis denn nicht auch verhökert?«
»Von der Malve meint nein«, sagte Dad, setzte der Blauen das Distributionsgestell auf die Nase und legte eine Scheibe 100–83–71 aus seinem mobilen Mustersortiment ein, um die Blutung zu stoppen. »Rostberg hätte ihm immer Angst gemacht. Jedenfalls bringt
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