Grau - ein Eddie Russett-Roman
einzige Mensch hier, abgesehen von zwei Grauen Hilfskräften, die unsortiertes Wertgut in Säcken in den Waschraum brachten, der sich unter einem mit Schweblingen angefüllten Seidenbaldachin befand.
»Das ist Courtland«, flüsterte Tommo mir mit respektvoller Stimme zu. »Auch wenn du meinst, du würdest in einem Monat wieder abreisen: Verärgere ihn nicht, okay? Uns allen zuliebe.«
»Ich habe überhaupt keinen Grund, mir die Butterblumenfraktion zum Feind zu machen, Tommo. Und schon gar nicht einen, dessen Mutter im Rat sitzt.«
»Ich meine ja nur. Wenn Courtland sagt ›spring‹, dann antworte einfach ›wie hoch und in welche Richtung?‹«
Tommo winkte Courtland zu, der uns mit einer lässigen Kopfbewegung bedeutete, in den Arbeitsbereich zu treten, wo er an einem der drei Sortiertische saß. Neugierig sah ich mich um. In jeden Tisch waren drei große, sich überlagernde Kreise eingeritzt, jeder Kreis repräsentierte eine der drei traditionellen Primärfarben, die sich überschneidenden Segmente repräsentierten die Sekundärfarben. Das Sortieren ging ganz einfach vonstatten. Der Sortierer – in diesem Fall Courtland – nahm sich irgendein gelbes Stück aus dem Haufen Wertgut und platzierte es in seinem Kreisausschnitt für das reine Gelb, die hellsten Töne oben, die dunkleren unten. Gleichzeitig nahm er sich jedes Objekt mit Gelbwert, sagen wir aus dem roten Segment, das er als solches erkennen konnte, und platzierte es im Schnittmengenbereich von Rot und Gelb, woraus man schließen konnte, dass das jeweilige Objekt Orange war. Mit dem Rest wurde genauso verfahren. Alles im Schnittmengenbereich von Gelb und Blau musste Grün sein, und alles im Schnittmengenbereich von Rot und Blau musste Purpurn sein. Auf diese Weise und mit Hilfe der besonderen Fähigkeiten der Rot-, Gelb- und Blaurezeptiven ließ sich das gesamte unsichtbare Farbspektrum auf dem Tisch auslegen. Nach dem Sortieren wurden die Objekte eingetütet und zur Pigmentfabrik gekarrt, wo sie gemahlen, ausgepresst und angereichert wurden, um der Gemeinschaft zum Genuss zu gereichen.
Mir fiel auf, dass der blaue Bereich sauber und aufgeräumt aussah, so wie Courtlands, die rote Position dagegen nicht, sie war geradezu unordentlich. Ich konnte sogar rote Stücke in dem ausgeschiedenen Haufen Wertgut erkennen, die eigentlich hätten platziert werden sollen, aber übersehen worden waren.
»Wer sortiert denn eure roten Stücke?«, fragte ich.
»Holzkopf Amaranth.« Tommo sah ohne die Spur eines Erkennens hinüber zu dem Haufen falsch platzierten roten Wertguts. »Er ist lediglich amtierender Präfekt, seine Farbwahrnehmung ist also nicht erstklassig. Warum?«
»Nur so.«
»Hallo, Court«, sagte Tommo in etwas unterwürfigem Tonfall. »Das ist Eddie Russett. Eddie, das ist Courtland Schwefel, Sohn des Gelben Präfekten und Nächster in der Rangfolge.«
Courtland war groß und hübsch und gut angezogen. Er hatte ein breites Kinn und buschige Augenbrauen, doch einen starren Blick, weil er nie mit den Augen blinzelte. Auf dem Revers prangten eine ganze Reihe Abzeichen, verliehen für verdienstvolle Arbeit, auf seiner Wange eine frische Narbe.
»Wie viel Rot kannst du sehen?«, fragte er.
»Genug«, antwortete ich.
»Willst dir nicht in die Karten schauen lassen, was? Gute Idee. Und wofür hast du das Demuts-Abzeichen bekommen?«
Ich erzählte ihm die Geschichte mit Bertie Magenta und dem Elefantentrick und dem Theater, was dann folgte.
»Sie haben ihn zu einer Stuhlzählung verdonnert«, sagte Tommo abfällig.
Courtland lachte.
»Die werden auch mit jedem Mal einfallsloser. Also, was ist, Master Russett? Brauchst du irgendwas?«
»Im Moment fällt mir nichts ein.«
»Behalt es einfach im Hinterkopf. Tommo und ich können hier vieles regeln und organisieren. Wenn du einen guten Job brauchst oder dir ein paar Meriten bis zum Zahltag borgen willst oder einfach nur Stunk mit den Präfekten hast – wir … machen Sachen möglich.«
Es entstand eine Pause.
»An dieser Stelle musst du eigentlich ›Wahnsinn‹ oder ›ist ja irre‹ oder ›toll‹ sagen«, soufflierte Tommo.
»Ist ja irre«, sagte ich.
»Allerdings, Russett: Es ist ein Geben und Nehmen. Wir tun etwas für dich, und du tust etwas für uns – zum gegenseitigen Nutzen. Wäre doch unsinnig, ein Graues Leben zu führen, nur weil die Regeln so wenig Ausweichmanöver bieten, oder?«
Er wartete meine Antwort nicht ab, wünschte auch gar keine, sondern ging um mich herum und
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